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Hoffnung für SyrienSyrien darf kein Failed State werden

Gastkommentar von Amed Mardin

Ein demokratisches Syrien ist möglich. Rojava zeigt, dass Kurden, Araber und Syrer gemeinsam eine progressive Alternative zur HTS-Herrschaft fordern.

Nordsyrische Stadt Kobane: Gibt es im 21. Jahrhundert noch Platz für multikulturelle, demokratische Gesellschaften im Nahen Osten? Foto: Andre Hirtz/imago

N ach einem halben Jahrhundert Assad-Diktatur steht Syrien am Scheideweg. Der Sturz des Baath-Regimes im Dezember 2024 versprach Befreiung – doch was folgte, war ein neuer Albtraum. Statt Demokratie herrscht heute Hayat Tahrir asch-Scham (HTS), eine Al-Qaida-Abspaltung, über Damaskus und weite Teile des Landes.

Die Bilanz ist erschütternd: über tausend tote Zivilisten bei Massakern an Aleviten in Latakia und Tartus; hunderte massakrierte Drusen in Suweida durch sunnitische Beduinen, die von Ahmad al-Scharaas Übergangsregierung unterstützt wurden; systematische Verfolgung von Christen und Kurden. HTS etabliert einen sunnitisch-fundamentalistischen Staat, der Syriens jahrhundertealte Vielfalt mit Gewalt auslöscht. Wer auf demokratische Verhandlungen hoffte, wurde enttäuscht.

Doch es gibt Hoffnung – und sie kommt aus dem Nordosten. In Rojava demonstriert eine bemerkenswerte Koalition aus Kurden, Arabern, Syrern, Armeniern und anderen Minderheiten, wie ein anderes Syrien aussehen könnte. Die Hasaka-Konferenz vom 8. August brachte 500 Delegierte zusammen – ein lebendiger Beweis dafür, dass Demokratie und Pluralismus auch in dieser zerrissenen Region möglich sind. Ihr Manifest ist eindeutig: dezentralisierte Strukturen statt Zentralismus, Gleichberechtigung aller Völker und Religionen statt Unterdrückung. Es ist das Gegenprogramm zur Herrschaft der HTS – und ein Vorbild für den gesamten Nahen Osten.

Über den Autoren

Amed Mardin ist kurdischer Exiljournalist und lebt seit 30 Jahren in Berlin. Derzeit forscht er zu Lösungsansätzen für den kurdisch-türkischen Konflikt.

Syrien ist mehr als ein regionaler Konflikt. Es ist ein Testfall dafür, ob im 21. Jahrhundert noch Platz für multikulturelle, demokratische Gesellschaften im Nahen Osten ist. Die Kurden und ihre Verbündeten haben bewiesen, dass dies möglich ist. Jetzt liegt es an der internationalen Gemeinschaft, ihnen zur Seite zu stehen.

Der Westen steht vor einer klaren Wahl: Die USA und Europa können entweder tatenlos zusehen, wie Syrien in einen weiteren gescheiterten Staat verwandelt wird, oder das demokratische Modell Rojavas unterstützen.

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