Hoffnung für Kauf-Kranke: Konsumsucht ist heilbar
Acht Prozent der Deutschen gelten als Kaufzwang-gefährdet. Eine Studie aus Erlangen zeigt, welche Therapie gegen die Kauf-Krankheit und Shoppen rund um die Uhr hilft.
ERLANGEN taz "Ich hätte genauso gut ein Alkoholiker werden können", sagt Ulrich K., grauer Schnauzbart, sonnengebräunter Teint, und lächelt. "Aber ich wurde Käufer." Vor dreißig Jahren fing er an, mit Werkzeug, mit Fotoapparaten und mit Büchern. Aus Sammelleidenschaft wurde Sucht. Am Ende hortete K. bei sich zu Hause über 2.500 teure Fachbücher, die er kaum las, Schränke voll Werkzeug, das er nicht brauchte, und 70 Spiegelreflexkameras, wo es auch eine getan hätte. An den 100.000 Euro Schulden, die er dabei angehäuft hat, wird er noch bis zum Ende seines Lebens zu knabbern haben. Aber den Drang hat er unter Kontrolle. Ulrich K. kann heute auch ohne Kaufen glücklich sein.
Er verdankt das einer neuen Gruppentherapie, die in den vergangenen Jahren an der Universitätsklinik Erlangen erprobt wurde. Gestern wurden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Studie zeigt eindeutig: Kaufsucht kann in vielen Fällen geheilt werden. Zum ersten Mal gibt es damit in Deutschland eine wirksame Therapie gegen krankhaftes Kaufen.
Kaufsucht, Mediziner sprechen auch von Oniomanie, fällt für Psychotherapeuten in dieselbe Kategorie wie Kleptomanie oder krankhaftes Haareausreißen. Sie hat nichts zu tun mit den alltäglichen Shoppinggelüsten, die jeder mal verspürt. Süchtige kaufen aus purem Zwang. Sie lieben die Euphorie beim Kauf. Kaum aus dem Laden, setzt die Reue ein. Die unnötigen Produkte wandern aus der Einkaufstüte gleich dorthin, wo sie niemand sieht. Die Sucht ist den Betroffenen in der Regel peinlich.
Knapp 8 Prozent aller Deutschen gelten heute als kaufsuchtgefährdet. Anfang der 90er-Jahre waren es in Westdeutschland noch 5 Prozent, im Osten sogar nur 1 Prozent. Doch die Möglichkeiten, bargeldlos und im Internet auch rund um die Uhr zu shoppen, haben die Kaufsucht zu einer Modekrankheit gemacht.
Die Suchtgefährdeten finden sich in allen Einkommens- und Bildungsschichten, und auch das Geschlecht spielt keine Rolle. Entgegen dem Klischee werden Männer genauso häufig kaufsüchtig wie Frauen. Sie nehmen allerdings viel seltener Therapie- und Selbsthilfeangebote wahr. Von insgesamt 60 Teilnehmern der Erlanger Studie waren nur 9 männlich.
Die Leiterin der Studie, Astrid Müller, hat das Wort "Therapieziel" an die Wand projiziert. Darunter steht "Kaufabstinenz", es ist mit einem großen roten X durchgestrichen. Das sei kein realistisches Ziel, sagt Müller. "Was wir wollen, ist ein angemessenes Kaufverhalten." Um das zu erreichen, ließen die Erlanger Mediziner Kaufsüchtige in zwölf wöchentlichen Gruppensitzungen über ihre Einkäufe Buch führen, sie mussten angeben, wie viel Geld sie für was ausgegeben hatten und was sie beim Kauf fühlten.
In den USA gibt es seit zehn Jahren bereits ähnliche Therapieversuche. Dort gehört zum Heilungsprozess auch das rituelle Zerschneiden aller Kreditkarten. Darauf hat man in Erlangen dann doch verzichtet.
"Ich finde es schwierig, von Heilung zu sprechen", sagt Müller. Aber der erzielte Erfolg sei beachtlich. Die Hälfte aller Studienteilnehmer ist sechs Monate nach der letzten Gruppensitzung nicht rückfällig geworden. Nur eine Gruppe habe man mit der Therapie überhaupt nicht erreicht: die Menschen, die nicht nur an Einkaufsucht leiden, sondern zugleich auch am zwanghaften Horten in ihrer Wohnung, sogenannte Messies. Für alle anderen sei die Gruppentherapie aber ein wirkungsvoller Ansatz.
"Meiner Meinung nach gibt es keine vollständige Heilung", sagt Ulrich K. Er hat nach der Therapie seine eigene Selbsthilfegruppe gegründet. So habe er immer jemanden, mit dem er über seine Krankheit reden könne. Und jemand, der ihn davon abhalte, wieder rückfällig zu werden. Wenn K. heute von der Kauflust gepackt wird, geht er raus in die Natur, Fotografieren oder eine Runde Radfahren. Er meint: "Wenn man mal eine halbe Stunde draußen ist, dann denkt man gar nicht mehr ans Kaufen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben