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Hoffnung Die Welt ist gespalten – der Norden reich, der Süden arm. Wie finanziert man Entwicklung? Die UNO streitet darüber ab Montag in Addis Abeba. Doch die Geschichte lehrt, wie es um die globale Solidarität stehtVereinte. Und Nationen

von Andreas Zumach

Schon seit Monaten verhandeln die Delegationen der 193 UNO-Mitgliedsstaaten. Ab Montag geht es in Äthio­piens Hauptstadt Addis Abeba in die Endrunde, wenn die Minister zusammenkommen, um über die Zukunft der Entwickungsfinanzierung zu sprechen. Doch eine Einigung ist auch wenige Tage vorher noch nicht abzusehen.

Es geht um grundlegende Streitfragen, und mehr denn je ist die UNO gespalten in reiche und arme Länder, in Nord und Süd. Soll die „Entwicklung“ armer, „unterentwickelter“ Länder gesteigert werden, indem sie durch öffentliche Entwicklungsgelder der reichen Industriestaaten finanziert werden? Das fordern die in der „Gruppe der 77“ (G77) 1964 zusammengeschlossen Länder des Südens, in der heute 34 Mitglieder organisiert sind. Oder sind gewinnorientierte Investitionen privater Konzerne der bessere Entwicklungsweg? Das wollen die meisten Industriestaaten.

Aber das ist nur eine der zahlreichen Kontroversen – in Addis Abbeba geht es um viel mehr. Denn diese seit 2002 dritte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung bildet auch den Auftakt für zwei weitere globale Konferenzen in diesem Jahr: Im September will die UN-Generalversammlung in New York die Nachfolge der sogenannten Millenniumsziele beschließen. 17 „Ziele nachhaltiger Entwicklung“ (Sustainable Development Goals – SDG) sind bereits seit Monaten ausformuliert worden. Und im Dezember sollen in Paris endlich neue globale Klimaschutzziele vereinbart werden.

Beides aber, Klimaschutz und SDG, braucht Geld. Wenn die Konferenz von Addis Abbeba scheitert, befürchten daher viele Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, kann auch in New York und Paris nichts Tragfähiges herauskommen.

Bei der ersten Entwicklungsfinanzierungskonferenz, die 2002 im mexikanischen Monterey tagte, hatten sich die beteiligten ­Staaten auf sechs Handlungs­felder geeinigt, die sie im sogenannten Konsens von Monterey fest­hielten. Was ist daraus geworden?

1. Die Entwicklungsländer sollen mehr eigene Mittel für Entwicklung mobilisieren.

Damit war gemeint, dass die Staaten selbst mehr Steuern einnehmen und für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung und Infrastruktur ausgeben sollen. Zwar konnten zahlreiche Länder im ersten Jahrzehnt nach Monterey ihr Steueraufkommen und in der Folge auch ihre eigenen öffentlichen Ausgaben für Entwicklungsmaßnahmen deutlich erhöhen. Diese Ausgaben stiegen zwischen 2002 und 2011 sehr viel stärker als die internationalen Entwicklungsgelder.

Bis heute allerdings haben viel zu viele Länder eine erschreckend niedrige Staatsquote, nehmen also viel zu wenig Steuern ein. Zudem verloren die 134 Staaten der G77 zwischen 2002 und 2011 durch Steuerflucht und diverse Steuervermeidungstricks transnationaler Unternehmen rund 992 Milliarden US-Dollar. Das ist weit mehr, als diese Staaten in diesem Zeitraum an öffentlichen Entwicklungsleistungen erhielten.

Allein die 57 afrikanischen Staaten, darunter auch die meisten der 50 nach UNO-Definition „am wenigsten entwickelten Länder“, verlieren jährlich 50 bis 60 Milliarden US-Dollar durch illegale Finanzströme. Deshalb fordern die G77 und viele Nichtregierungsorganisationen die Einrichtung einer internationalen Steuerorganisation unter dem Dach der UNO, die die Verhandlungskompetenz über Steuerabkommen erhält und den Entwicklungsländern hilft, Steuerschlupflöcher zu schließen.

Wer entscheidet Reformen, die den Ländern des Südens mehr Stimmrechts­anteile zugestehen, wurden noch immer nicht umgesetzt

Die Industrieländer lehnen das ab. Sie wollen internationale Steuerpolitik weiterhin im Rahmen der von ihnen dominierten Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordinieren. Unter den 34 Mitgliedsstaaten der OECD befinden sich mit Mexiko, Südkorea und Chile lediglich drei Länder aus der G77.

Hauptgrund für diese Haltung ist die starke Lobby transnationaler Konzerne in Brüssel, Washington, Tokio und anderen Hauptstädten. Die Konzerne wollen verhindern, dass die heute bereits zwischen den Industriestaaten der OECD geltenden oder diskutierten Steuerregeln auf die Länder des Südens ausgedehnt werden. Denn in diesen Ländern machen die Konzerne dank ihrer Steuervermeidungstricks bislang noch die größten Profite.

2. Ausländische Direktinvestitionen sollen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken.

Über die Bewertung der Entwickungswirksamkeit gibt es immer wieder unterschiedliche Meinungen – nicht zuletzt weil einige Länder so großzügige ­Gewinntransfers garantieren, dass zu wenig im Land bleibt.

Unstrittig ist, dass in den letzten Jahren des Rohstoffbooms etwa im Bereich Agrarin­dus­trie, aber auch im Bergbau einige ökologische und soziale Desaster angerichtet wurden. NGOs und G77 fordern daher, verbindliche Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards für private Investitionen sowie die Pflicht zur nachträglichen Evaluierung der Wirksamkeit dieser Investitionen für eine nachhaltige Entwicklung und die Überwindung von Armut in den Text von Addis Abeba einzubauen. Der Entwurf der Industrieländer sah das nicht vor.

3. Internationale Handel soll Motor der Entwicklung werden.

Der globale Freihandel hat weit weniger zur Überwindung der Armut und zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Ländern des Südens beigetragen, als dies bei Gründung der Welthan­dels­organisation vor 20 Jahren in Aussicht gestellt wurde. Die G77 und die NGOs fordern von den Industriestaaten mehr Kohärenz zwischen der Handelspolitik und der Entwicklungspolitik.

Die Industriestaaten, fordern sie, sollten endlich ihre protektionistischen Maßnahmen aufgeben, mit denen sie die eigenen Märkte trotz aller Freihandelsrhetorik vor allem gegen Landwirtschafts- und Textilimporte aus dem Süden schützen. Zudem fordern die NGOs vor allem von der Europäischen Union und den USA den Abbau der Agrarexportsubventionen sowie effektive Maßnahmen zum Schutz von Kleinbauern und -bäuerinnen in den Ländern des Südens vor übermächtiger Konkurrenz durch Nahrungsmittelkonzerne aus dem Norden.

4. Die Industriestaaten sollen ihre öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) auf mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erhöhen.

1970 hatte die UNO-Generalversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Industrieländer 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in Form von finanziellen, technischen oder personellen Leistungen für öffentliche Entwicklungzusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) bereitstellen sollen. Dieses nunmehr 45 Jahre alte Ziel haben bis heute allerdings nur Norwegen, Schweden, Dänemark und Luxemburg erreicht und in jüngster Zeit auch Großbritannien. G77 und NGOs fordern von den Industrieländern einen verbindlichen Zeitplan zur Erreichung dieses Ziels – die wollen sich darauf aber auch in Addis Abeba nicht einlassen.

5. Hoch verschuldeten Entwicklungsländern soll ein Teil ihrer Schulden erlassen werden, um eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung zu er möglichen.

G77 und NGOs fordern seit Langem ein faires und unabhängiges Staateninsolvenzverfahren, durch das die Verschuldung eines Staates beurteilt und Entscheidungen getroffen werden über Maßnahmen zur Entschuldung und über das Ob und Wieviel eines Schuldenerlasses.

Diese Entscheidungen sollen sich jeweils auf ein unabhängiges Gutachten stützen, das die Notwendigkeit eines Schul­denerlasses beurteilt, ohne dass der Gutachter selbst – wie bislang üblich – vom Schuldner oder seinen Gläubigern (zum Beispiel dem IWF und der Weltbank) abhängig wäre.

Die Chronik des Konsenses

1961: 17 westeuropäische Industriestaaten sowie die USA, Kanada und Türkei gründen in Paris die OECD. Sie prägen den Begriff „Entwicklungshilfe“.

1964: 77 „Entwicklungsländer“ organisieren sich zwecks besserer Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den Industriestaaten des Nordens in der G77 und setzen die Gründung der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) durch. Diese soll der Ort werden, wo über Wirtschafts-, Handels-, Währungs- und Finanzfragen entschieden wird. Doch die Industriestaaten treffen diese Entscheidungen weiterhin in den von ihnen dominierten Organisationen und Zweckbündnissen.

1992: Die von der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung beschlossene Agenda 21 benennt erstmals nicht nur entwicklungs-, sondern auch umweltpolitische Ziele. Auf Vereinbarungen zu deren Finanzierung können sich die Teilnehmer jedoch nicht einigen.

2002: Industriestaaten und Entwicklungsländer verständigen sich auf der Konferenz im mexikanischen Monterey auf allgemeine Leitlinien zur Entwicklungsfinanzierung, eben den „Konsens von Monterey“. Ob dieser Ansatz weitergehen kann oder de facto beerdigt wird, darum wird es ab Montag in Addis Abeba gehen.

Wesentliches Kriterium für die Höhe eines Schuldenerlasses soll der Finanzierungsbedarf für die Umsetzung der SDGs sein.

Im September 2014 forderte die UNO-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit, den Rechtsrahmen für ein unabhängiges Staateninsolvenzverfahren zu schaffen. Lediglich Deutschland und zehn weitere Indus­trie­staaten stimmten gegen diese Resolution. Diese Staaten setzen weiter darauf, Verschuldungskrisen durch neue multilaterale Kreditvergaben zu verschieben, statt sie durch Schuldenschnitte und -erlasse zu beheben.

6. Die internationale Finanzarchitektur muss unter Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer reformiert werden. Die Entwicklungsländer müssen in die Entscheidungen der internationalen Finanz- und Handelsorganisationen stärker einbezogen werden.

Die Umsetzung, vor 13 Jahren als Teil des Konsenses von Monterey formuliert, steht bis heute aus. Reformen von IWF und Weltbank, die den Ländern des Südens mehr Stimmrechtsanteile und damit eine gerechtere Beteiligung an den Entscheidungen dieser Institutionen ermöglichen, sind noch immer nicht erfolgt.

Auch nach ersten seit der Konferenz von Monterey beschlossenen und im IWF bereits vollzogenen Reformen sind nicht nur Entwicklungsländer in beiden Finanzinstitutionen nach wie vor unterrepräsentiert, sondern auch die Wirtschaftsweltmacht China. Belgien etwa verfügt, proportional zu seinem Bruttonationaleinkommen, weiterhin über mehr Stimmrechtsanteile als China.

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