Hörspiel mittels Handy-Ortung: Auf der Spur des subversiven Flaneurs
Mit dem internetbasierten, interaktiven Hörspiel "Verwisch die Spuren" lotet die Hamburger Radioaktivistengruppe "Ligna" am Alexanderplatz das kulturelle Potenzial der GPS-Ortungstechnik aus.
Auf halbem Fußweg zwischen Fernsehturm und Neptunbrunnen schaltet sich plötzlich das Handy ein. Eine sanfte Frauenstimme kommandiert ins linke Ohr: "Gehen Sie ans Wasser. Nehmen Sie ihr Mobiltelefon in die Hand, halten Sie es über das Wasser". Von rechts kommend, fällt eine Männerstimme ein, sie mahnt: "Wohin Sie sich auch wenden, Ihre Bewegung wird aufgezeichnet. Die Daten, die Sie hinterlassen, können ausgewertet werden."
Das Handy-Hörspiel "Verwisch die Spuren" der Hamburger Künstlergruppe Ligna, das man ab heute zwischen Alexanderplatz und Schlossplatz hören kann, ist der Albtraum aller Paranoiker: Die Stimmen aus dem Handy scheinen aus dem Nichts zu kommen. Sobald der Handybesitzer einen bestimmten Punkt im Stadtraum betritt, aktiviert sich automatisch ein dazu passendes Hörfragment. Dank der serienmäßig in die meisten Mobiltelefone eingebauten GPS-Lokalisierungsfunktion weiß das Handy auf den Meter genau, wo sich sein Träger befindet, per Internetzugang werden die Klanginformationen mit dem Stadtplan verknüpft. Dadurch wirken die Einflüsterungen von links und rechts bedrohlich: "Schauen Sie sich um - verfolgt Sie jemand?"
32 solcher Hörminiaturen haben Ligna digital im Stadtraum platziert. Abrufen kann man sie, indem man sich im Internet die dafür entwickelte Handy-Anwendung (App) herunter lädt. Und dann aufs Geratewohl losflaniert - geleitet von den Stimmen aus dem Handy, die Informationen zur Stadtgeschichte und zum Datenschutz absondern. Und die Hörer gelegentlich zu abweichendem Verhalten auffordern: "Hämmern Sie mit den Fäusten auf den Mülleimer!"
Für "Verwisch die Spuren" haben sich die Ligna-Künstler die Figur des Flaneurs aus dem 19. Jahrhundert vorgenommen und in die Gegenwart versetzt. "Im Zeitalter von GPS ist der Flaneur eine politische Figur", sagt Ligna-Mitglied Ole Frahm. "Wer ohne klare Absicht durch die Stadt flaniert, macht sich zum Verdächtigen par excellence." Wie in früheren Radioperformances, in denen sie Bahnhofsbesucher zu kollektiver Untergrabung der Hausordnung anstifteten, geht es Ligna auch diesmal um die fortschreitende Kontrolle des öffentlichen Raums. Doch anders als die Teilnehmer der "Freiheit statt Angst"-Demo am Samstag richten Ligna ihren Fokus nicht allein auf die Gefahren der Überwachungstechnologie. "Uns interessieren die gesellschaftspolitischen Auswirkungen dieser Technologien auf den Stadtraum." Dieser werde immer mehr "durchformatiert" und auf den personalisierten Verkauf von Waren getrimmt. Besitzer eines IPhones stimmten der Aufzeichnung ihrer Bewegungsdaten zu. Auf der Basis dieser Daten würden Shopping-Angebote gruppiert, "Lokalisierungsdienste wie GPS werden zu Stadtplanungsinstrumenten", sagt Frahm.
Anstatt diese Entwicklungen einseitig zu beklagen, eignen sich Ligna Technologien an und füllen sie mit eigenen Inhalten. Beim Hörspiel wird das Bedrohliche der exakten Positionsbestimmung zum Spiel. Das Handy weiß, in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich jemand bewegt? Dann schnell die Treppe vom Funkturm herab rennen, nach allen Seiten winken. Dass man beim Laufen die ägyptisch inspirierten Welten der Gewerbeausstellung von 1896 inklusive Cheops-Pyramide und Beduinen vor Augen hat, wissen weder das Handy noch die Passanten.
"Verwisch die Spuren" eröffnet einen utopischen Raum für ein umkämpftes Stück Stadt. Die Gegend zwischen Alexanderplatz und Schlossplatz musste im 19. Jahrhundert als Symbol für die vage Idee eines "Alt-Berlin" herhalten. Jetzt dient sie als "innerstädtische Brache" Stadtplanern und Politikern für ihre Visionen. Für die Hörspiel-Macher aus Hamburg ist das von Jugendlichen, Touristen und Alkoholtrinkern genutzte Areal ein lebendiger Ort der Abweichung. Wer den Mut hat, den Anweisungen aus dem Handy zu folgen, kann das subversive Potenzial dieser Gegend am eigenen Leib erfahren. Da die benötigte Handy-App aber nur für bestimmte Geräte nutzbar ist, werden viele diese Reise nur mit der Maus im Internet unternehmen können. Auch die Nutzer des IPhones. Man habe keine Lust gehabt, sich exklusiv an den Apple-Konzern zu binden, sagen die Macher von Deutschland-Radio Kultur, die das Handy-Hörspiel mit Ligna und dem Medienkünstler Udo Noll entwickelt haben. Statt dessen entschied man sich, die App nur für das Handy-Betriebssystem Android bereit zu stellen. Dadurch werden momentan aber nur rund 16 Prozent aller Handybesitzer erreicht. Alle anderen müssen uninformiert zusehen, wenn entfesselte Android-User über Bänke springen.
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