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HörhilfeVive la parole!

■ Die Philosophie spricht im Hörbuch

Als Peter Sloterdijk auf Schloss Elmau seine Rede „Regeln für den Menschenpark“ hielt, gab es leider kein Aufnahmegerät. Darum kam es zu Beginn der „Debatte, die wir inzwischen gut kennen“, zu einer Neuaufauflage einer alten philosophischen Grundproblematik: dem Verhältnis von Rede und Schrift. Man misstraute erst einmal den Zitaten, die fleißige Journalisten gesammelt hatten.

Das ist das Ressentiment der Philosophie gegenüber der Schrift: Nur im Sich-sprechen-Hören kommen Gedanke und Gedachtes wirklich zusammen. So hat das der französische Dekonstruktivismus zusammengefasst – und sich viel Mühe gegeben, die Schrift aufzuwerten. Ohne Erfolg, anscheinend, und auch der HörVerlag arbeitet jetzt für die Rede: „Wie viel leichter würde uns der Zugang zum Werk wichtiger Philosophen fallen, könnten wir sie im Originalton reden hören.“ Vive la parole! Also gibt es jetzt zum Beispiel Ernst Bloch und Hannah Arendt „im O-Ton“, und auch Theodor W. Adorno: „Aufarbeitung der Vergangenheit. Reden und Gespräche“. Das ist nicht nur etwas für den Fanshop. Es macht tatsächlich Spaß, dem großen alten Mann der Frankfurter Schule zuzuhören. Adorno hat eine freundliche Stimme. Er spricht langsam, in „fragmentarischen und vielfach rhapsodischen Betrachtungen“, wie er selbst sagt: ein musikalisches, aber ganz und gar klares Denken, das nichts vom hysterischen Debattentonfall der 90er-Jahre hat. Sehr angenehm.

Adornos lange Sätze und nachgestelltes Reflexivum – „Aber das Unwahre lässt am Geschwollenen sich erkennen“ – sind legendär. Der Philosoph liest sich selbst allerdings sehr verständlich vor, und nur an einer einzigen Stelle spricht „das Gesprochene gegen sich selbst“, wie Derrida das genannt hätte: „Man darf wohl unterstellen, dass zwischen dem Gestus des Von-allem-nicht, äh ...“ – und hier verliert Adorno einmal kurz den Faden – „... nicht-gewusst-Habens und zumindest stumpfer und ängstlicher Gleichgültigkeit eine Proportion besteht.“

Der HörVerlag hat sich den hellen Adorno ausgesucht: den Chefaufklärer der Bundesrepublik. Dieser Adorno hat bekanntlich Schule gemacht, und darüber hat Sloterdijk sich ja auch aufgeregt: über die Deutungsmacht der „kritischen Theorie“. Habermas und so.

Natürlich gibt es auch einen dunklen Adorno. Einen, der Nietzsche liebte zum Beispiel, aber der kommt beim HörVerlag nicht vor (und auch sonst nicht so häufig). Schön schaurig ist dagegen eine Produktion der „edition voices“: „Zarathustra“. Das Ensemble Lesart hat sich Musik zur „Vorrede“ von Nietzsches Werk ausgedacht – dem Werk, dem die Debatte über den Menschenpark sein Lieblingsschlagwort entnommen hat: den Übermenschen.

Nun weiß man nicht so genau, was Nietzsche eigentlich wirklich mit dieser Figur gemeint hat – nur, was in den Jahrzehnten nach seinem Tod andere daraus gemacht haben. Die „jazzy tunes“ des Ensemble Lesart – sie klingen esoterisch angehaucht, man denkt an Jan Garbarek und ähnlich sphärische Musiker – bringen da natürlich auch keine Klarheit.

Macht nichts, dafür verwandelt sich Nietzsche so endgültig in Literatur, und das hört sich gut an: ein aufgeregtes Rappeln und Scheppern, als Zarathustra aus dem Gebirge zu den Menschen herabsteigt, ein kicherndes Gezirpe, als er sich zum ersten Mal an seine Zuhörer wendet – „und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter ...“ – und dann, als Zarathustra auf „dunklen Wegen“, mit „unbewegter Seele“ durch die Stadt spaziert, da wird die Musik zum nachtschwarzen Soundtrack eines traurigen Film Noir: „Und wer noch Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer machen.“

Zum Schluss noch eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Den tollen Hamburger Verlag edition voices, der ein ganz exquisites Programm hatte, gibt es nicht mehr. Die gute Nachricht: Die „Zarathustra“-CD kann man trotzdem noch kaufen. Kolja Mensing

Theodor W. Adorno: „Aufarbeitung der Vergangenheit“. 4 MCs. HörVerlag, München 1999, 62 DM (oder 5 CDs, 129 DM) Ensemble Leseart: „Zarathustra“. CD. Edition voices, Hamburg 1999, 34,90 DM

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