Hören statt Sehen: Das Handy als "Blindenhund"
Speisekarten, Geldscheine, Zeitungstexte zum Hören - Mehrere Technologiefirmen arbeiten an Ergänzungen für Mobiltelefone, die blinden Menschen das Leben erleichtern sollen.
Der amerikanische Spezialanbieter Kurzweil Technologies hat eine Software entwickelt, mit der sehbehinderte Menschen per Handy Texte in ihrer Umgebung erfassen und in Sprache umwandeln können. Das aktuell für das Nokia-Smartphone N82 verfügbare Produkt nutzt dazu die in das Gerät eingebaute Kamera - mit dieser werden vorzulesende Bereiche fotografiert. Das Kurzweil-Programm namens "knfbReader" analysiert anschließend die Aufnahme und setzt die im Bild entdeckten Buchstaben erst in einen sinnvollen Fließtext um, den das Handy anschließend vorlesen kann.
Zunächst liegt die mit rund 1650 Euro recht teure Soft- und Hardwarekombination allerdings nur auf Englisch vor - weitere Sprachversionen sollen aber noch 2008 folgen. Kurzweil gibt als Anwendungsmöglichkeit beispielsweise das Lesen von Menüs im Restaurant, von Zeitungstexten oder von Geldscheinen an, denen Markierungen für Blinde fehlen. Dabei ist der knfbReader, der zusammen mit dem amerikanischen Blindenverband NFB entstand, vor allem auf kleinere Auflösungen spezialisiert - Ortsschilder kann er beispielsweise nicht lesen.
Die für die Technologie notwendigen Komponenten sind inzwischen alle verfügbar: Von den hoch genug auflösenden Kameras, die in fast jedem Handy stecken, über die notwendige Software zur Texterkennung (Optical Character Recognition, OCR) bis hin zu leistungsfähigen Hauptprozessoren für Mobilgeräte, die die notwendigen Verarbeitungsschritte auch durchführen können. Soundchip und Lautsprecher zur Sprachausgabe bringt sowieso heute jedes Mobiltelefon mit.
Speziell für Sehbehinderte optimierte Handys gibt es auch von anderen Anbietern schon länger. So hat der koreanische Hersteller Samsung mit dem "Touch Messenger" ein zunächst für den chinesischen Markt gedachtes Gerät entwickelt, das SMS-Botschaften in Braille darstellen sowie in Blindenschrift auch gleich entgegen nehmen kann. So muss der Nutzer nicht auf "Text to Speech"-Lösungen zurückgreifen, die ihm einen wichtigen Teil seiner Privatsphäre nehmen würden.
Wenn letzteres jedoch keine so wichtige Rolle spielt, kann der Sehbehinderte auch zu einfacheren Programmen greifen, die auf zahlreichen Geräten läuft. Der Dresdner Spezialanbieter fluSoft verkauft so genannte Screenreader für Smartphones, die dem Nutzer Menüs vorlesen und das Gerät so auch blind bedienbar macht. Sind Signalstärke oder Batterieladestand gering, wird der Nutzer ebenfalls informiert; neuere Funktionen unterstützen außerdem das Surfen über einen mobilen Browser, E-Mails und Online-Chats sowie den Empfang per SMS. Billig sind solche Speziallösungen allerdings nicht: Zwar kann der Nutzer normale, kostengünstige Smartphone-Geräte als Ausgangspunkt wählen, die notwendige Zusatzsoftware schlägt aber mit nicht ganz 300 Euro zu Buche.
Aktuelle Computertechnologie hilft Sehbehinderten aber nicht nur auf dem Handy. In den USA arbeiten Forscher an einem Zusatzchip für Fernseher, der speziell für Menschen mit der Makuladegeneration-Erkrankung geschaffen wurde. Diese häufig im Alter vorkommende Augenerkrankung sorgt dafür, dass durch das Absterben von Netzhautzellen blinde Flecken im Sichtfeld auftreten. Der Rest des Bildes wirkt zudem verschwommen. Der Genuss von "Tagesschau" und anderen TV-Sendungen ist so nur bedingt möglich. Mit dem Chip, der nun an der Harvard Medical School gebaut wird, soll zumindest der noch funktionierende Teil des Auges beim Fernsehen optimal genutzt werden. Dazu sorgt ein spezieller Algorithmus dafür, dass bestimmte Teile des Bildes, die aufgrund ihrer Lichtwellenlänge von Personen mit Makuladegeneration besonders schwer wahrgenommen werden, über eine Kontrasanhebung besser sichtbar werden.
Eli Peli, Professor für Augenheilkunde und Leiter des Projektes, sieht die Technologie bereits in jedem modernen Fernseher - Betroffene können dann das Bild ganz bewusst auf ihre Sehbehinderung einstellen. Die Technologie sei für diese Gruppe ähnlich wichtig wie Untertitel für taube Menschen, meint der Forscher. Und nicht nur die: Selbst Zuschauer mit nur leichten Augenproblemen profitieren von der Kontrasterhöhung, wie Peli in einer Studie nachwies. Eine gute, augenfreundliche Darstellung hilft eben allen.
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