Höheres Wohngeld sorgt für Diskussion: Mehr Geld und trotzdem ärmer
Ab Januar 2016 soll es mehr Mietgeld geben. Was sich gut anhört, bedeutet für viele Sozialhilfeempfänger, dass am Ende noch weniger Geld übrig ist.
Das Wohngeld soll im Schnitt um 39 Prozent steigen, davon werden Berechnung des Bundesbauministeriums rund 870.000 Haushalte profitieren. Darunter sind 90.000 Empfänger von Grundsicherung, meist Hartz-IV-Bezieher, die durch das höhere Wohngeld aus dem Hartz-IV-Bezug herausgeholt werden könnten.
Das liegt an der Art der Berechnung von Hartz IV, das als nachrangige Leistung gilt: Wenn der Anspruch auf Wohngeld künftig so hoch ist, dass die Empfängerin damit und mit dem kleinen Erwerbseinkommen oder der kleinen Rente über der Bedarfsgrenze für Hartz-IV-Leistungen liegt, bekommt sie künftig keine ergänzenden Hartz-IV-Leistungen mehr, sondern nur das Wohngeld.
Als Beispiel nennt das Ministerium eine fiktive Rentnerin in Hamburg, die eine Kaltmiete von 510 Euro hat und eine Rente von 950 Euro. Bisher bezieht sie 96 Euro Leistungen der Grundsicherung im Alter, was etwa den Hartz-IV-Leistungen entspricht. Ab 2016 hat sie einen Wohngeldanspruch von 120 Euro und „ist damit nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen“, heißt es in der Musterrechnung, „im Ergebnis hat sie jeden Monat 24 Euro mehr zur Verfügung“.
Nahverkehr wird teurer
Lotte K., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, macht eine andere Rechnung auf. Im Beispiel der Hamburger Rentnerin werde „übersehen, welche Vergünstigungen dann wegfallen“, sagt Frau K., „für die 90.000 betroffenen Grundsicherungsempfänger könnte die geplante Reform ein Minusgeschäft werden“.
Von den 24 Euro mehr im Monat gingen 18 Euro an die Gebühreneinzugszentrale für Rundfunk und Fernsehen, denn als Grundsicherungsempfängerin ist man befreit von diesen Gebühren, rechnet K. vor. In Berlin verliert man auch den Anspruch auf das Sozialticket des öffentlichen Nahverkehrs für 36 Euro und muss eine um 44 Euro teurere Umweltkarte kaufen.
Auch die monatlich 10 Euro Hausrat- und Haftpflichtversicherung, die man bei der Hartz-IV-Berechnung absetzen kann, werden wieder fällig. Desgleichen muss man auch die Nachzahlungen für die Heiz- und Betriebskosten der Wohnung selbst tragen, die sonst der Staat übernimmt. Auch die Vergünstigungen bei Bibliotheken und Kinos bekommt man nicht mehr.
Experte fordert Wahlrecht
Das Problem mit neuen Sozialleistungen, die den Anspruch auf andere Sozialleistungen wegfallen lassen, kennt auch Harald Thomé, Referent für Sozialrecht in Wuppertal. „Man müsste den Betroffenen ein Wahlrecht einräumen, bei wirtschaftlichen Nachteilen auch auf bestimmte Sozialleistungen verzichten zu können“, sagt Thomé. Ein solches Wahlrecht gibt es beim Wohngeld nicht, da das Wohngeld als vorrangige Leistung gilt,wenn man dadurch den Hartz-IV-Bezug vermeiden kann.
Beim sogenannten Kinderzuschlag für Geringverdiener hingegen gebe es ein solches gesetzlich verbrieftes Wahlrecht, erklärt Thomé. Er nennt das Beispiel eines unverheirateten Paares mit Kind, das Hartz IV bezieht. Wenn einer der Partner nun einen Job findet und Geld verdient und das Paar überdies Anspruch auf den Kinderzuschlag hat, käme es möglicherweise aus dem Hartz-IV-Bezug heraus.
Damit müsste sich aber der nichtarbeitende Partner alleine krankenversichern, was teuer ist. Das Erwerbseinkommen des Partners plus ergänzende Hartz-IV-Leistungen sind dann möglicherweise günstiger. Das Paar kann sich also dafür entscheiden und den Kinderzuschlag ablehnen.
Für viele Empfänger dürfte das höhere Wohngeld aber dennoch ein Segen sein: Wenn man damit aus dem Bezug von Hartz IV herauskommt, darf man mehr eigenes Vermögen haben, die oft demütigenden Hartz-IV-Anträge entfallen. Wohngeld vom Wohngeldamt zu beziehen ist erheblich unbürokratischer als zum Jobcenter gehen zu müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert