piwik no script img

Höchstangebote für LehrerSchnapp den Lehrer

Die Bundesländer konkurrieren untereinander um begehrte Lehrer. Schuld daran ist der Nachwuchsmangel, gerade in Fächern wie Mathe, Naturwissenschaften und Englisch.

Protest gegen Stundenausfall: Jetzt müssen die Bundesländer um die Lehrer buhlen. Bild: dpa

Heiko Schwarz hat sich fürs Pendeln entschieden. Tag für Tag fährt er seit Ende August vom nordrhein-westfälischen Drensteinfurt zu seiner Hauptschule im niedersächsischen Emsbüren. Auch wenn er so von Reihenhäuschen zu Klassenzimmer täglich 90 Kilometer hinter sich bringen muss, lohnt sich der Wechsel. In Niedersachsen ist der 39-jährige Familienvater verbeamtet und bekommt 2.600 Euro für seinen Vollzeitjob, in Nordrhein-Westfalen (NRW) verdiente er als Angestellter 1.700 Euro. Zudem ist die neue Schule hervorragend ausgestattet und der ehemalige Berufsmusiker kann nicht nur seine Fächer Hauswirtschaft und Erdkunde, sondern auch seine Leidenschaft Musik unterrichten. "Einfach herrlich."

Die Geschichte von Heiko Schwarz ist typisch für die Situation zum Schuljahreswechsel 2008 in Deutschland. Lehrerflaute allerorten, gerade in Mangelfächern wie Mathe, Physik, manchmal Latein, Spanisch oder Technik werden Pädagogen gesucht. Allein in NRW sind zur Zeit noch 730 Stellen offen. "Die meisten von ihnen werden in diesem Schulhalbjahr nicht besetzt werden können," schätzt Berthold Paschert, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW.

Zwar verlassen in beliebten Fächern wie Deutsch und Geschichte immer noch mehr Lehrer die Hochschulen als gebraucht werden, doch vor allem in den Mangelfächern rächt es sich, dass die Bundesländer in punkto Lehrerausbildung in den vergangenen Jahren auf die Bremse getreten haben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnte vor einem "dramatischen Pädagogenmangel". In den nächsten fünf Jahren müssten gut 100.000 Lehrer, die in Pension gingen, ersetzt werden, so GEW-Chef Ulrich Thöne. Nach Berechnungen des Essener Bildungsexperten Klaus Klemm müssen - den Rückgang der Schülerzahlen einkalkuliert - jährlich 23 - 25.000 neue Pädagogen bundesweit eingestellt werden, nur um den Status Quo zu erhalten. "Pädagogische Forderungen wie kleinere Klassen oder bessere Ganztagsschulen, sind dabei nicht mal berücksichtigt", so Klemm. Woher die neuen Lehrer für das Land kommen sollen, bleibt im Dunkeln.

Die heutigen Lehramtsabsolventen können sich die besten Angebote rauspicken und wechseln immer häufiger in ein anderes Bundesland, das bessere Perspektiven verspricht. Von Schleswig-Holstein und NRW ziehen Lehrer nach Niedersachsen, von Rheinland-Pfalz ins Saarland. Nachwuchs aus Berlin strebt nach Hamburg, Thüringer Absolventen nach Niedersachsen, Hessen und Bayern.

Die Bundesländer heizen die Lehrerwanderungen an, massiv gehen sie auf Bewerberjagd und schnappen sich mit Extraangeboten die besten Leute weg. Und dabei haben die Länder mehr Freiheit denn je. Seit der Föderalismusreform I von 2006 ist die Bezahlung von Beamten nicht mehr einheitlich geregelt. Die Länder können selbst entscheiden, wie viel sie ihren Lehrern zahlen möchten. Die Folge: Reiche Bundesländer könnten etwas drauflegen, um den ärmeren Nachbarn die knappen Lehrer in Mangelfächern wegzukaufen. Dabei zählt nicht Geld allein, sie können die Pflichtstunden reduzieren, länger verbeamten, Klassen verkleinern.

Bayern zahlt Quereinsteigern doppeltes Referendarsgehalt, Hamburg führte den Beamtenstatus wieder ein, den der Stadtstaat zwischenzeitlich abgeschafft hatte. Besonders aggressiv geht Hessen vor. In der ganzen Republik ließ Kultusminister Jürgen Banzer (CDU) Plakate kleben und Anzeigen schalten. Auf ihnen ein leerer Regiestuhl und der Slogan: "Hauptrollen in Hessen zu vergeben". Banzer lockt mit höheren Gehältern für Haupt- und Realschullehrer, attraktiven Quereinsteigerprogrammen und Verbeamtung bis 50. Gleichzeitig schickte der Kultusminister Teacher Scouts in die Schulen, die für das Lehramt trommeln, Absolventen mit schwächeren Examensnoten bekommen Jobs auf Bewährung. Ergebnis der Kampagne: 234 Lehrer aus anderen Bundesländern werden in Hessen im neuen Schuljahr unterrichten, das sind zehn Prozent aller neuen Kräfte. Die noch fehlenden 600 Stellen will das Land zum Schuljahreshalbjahr besetzen.

Die Konkurrenz um Pädagogen wird sich in den kommenden Jahren verschärfen. Dann gilt: Wer am meisten zu bieten hat, liegt vorn. Besonders schwer werden es die neuen Bundesländer haben, in denen es durch den starken Geburtenrückgang nach der Wende noch einen Lehrerüberhang gibt. "Viele von uns haben Thüringen den Rücken gekehrt und die Angebote anderer Bundesländer angenommen", sagt Verena Wagner, Referendarsabsolventin in Gera. Nun zeigt die Geburtenkurve wieder nach oben, bald gehen die starken Lehrerjahrgänge in den Ruhestand. Dann müssen die neuen Bundesländer im Konkurrenzkampf kräftig mitmischen. Viel können sie nicht in die Wagschale werfen: Osttarif, in der Regel Teilzeitjobs und meist nur Angestelltenverträge. "In drei, vier Jahren wird es bei uns ganz eng", sagt Reiner Walleser Sprecher des Kultusministeriums Brandenburg.

Sein bayerischer Kollege Ludwig Unger dagegen ist entspannt: "Ein Land, das eine schwarze Null im Haushalt hat, kann es sich leisten, seinen Lehrern mehr zu bieten."

Für den hessischen GEW-Landeschef Jochen Nagel geht kein Weg daran vorbei, mehr Lehrer auszubilden und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. "Wenn Kinder in überfüllten Klassen aber gestresste Pädagogen vorne kämpfen sehen, müssen wir uns nicht wundern, dass sie wenig Lust auf diesen Beruf bekommen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • O
    Oktavian

    Es kommt sehr auf die Fächer an - damit hat die Autorin Recht. Ich habe als Quereinsteiger mit Spanisch in Niedersachsen sofort eine unbefristete Festanstellung (Vollzeit) als Angestellter an einem Fachgymnasium bekommen, bin mit meiner berufsbleitenden pädagogischen Ausbildung sehr zufrieden und konnte sogar zwischen vier Angeboten wählen. Und bis 45 kann man hier auch noch verbeamtet werden. In Kürze wird es in Niedersachsen eine Dienstrechtsreform geben - dann kann der Vorbereitungsdienst durch "berufspraktische Erfahrungen" (so steht es im Gesetzentwurf des Innenministeriums) ersetzt werden. Im Klartext: Das Land will den höheren Dienst für gesuchte Fachkräfte attraktiv machen...

  • RB
    Roland Brinkmann

    Wenn es im Osten oder im ländlichen Raum nicht genügend Mediziner gibt, dann reicht das locker als Argument für eine 10 prozentige Einkommenserhöhung.

    Auch den Lehrern wurde in den letzten 10 Jahren Einiges an Kaufkraft weggenommen - und das ist kein unwichtiger Grund für den sich abzeichnenden Mangel. Doch anstatt einer bundeseinheitlichen vernünftigen Einkommenssverbesserung aller Lehrer spendieren die Politiker alberne Plakataktionen (Hessen) oder läppissche Vergünstigungen wie eine Stunde weniger (nachdem vorher um drei erhöht wurde...). Als nächstes vielleicht bunte Kreide für alle?

    Versteht mich nicht falsch - es it ok, dass ein Arzt einiges mehr verdient als ein Lehrer. Aber Jahr für Jahr weniger zu verdienen ist nicht lustig.

  • R
    Raffles

    In den letzten Jahren war es NRW nicht möglich, mich als Quereinsteiger fest zu beschäftigen. Mit einem gekürzten Gehalt gegenüber Stelleninhabern durfe ich zwar Veranstwortung als Klassenlehrer tragen, aber in den Sommerferien konnte ich mich arbeitslos melden.

     

    Jetzt bin ich selbstständig als Sprachdozent, unterrichte anstatt Kinder gestandene Manager und habe das Vierfache an Verdienst in der Tasche.

    Ich wäre gern Lehrer geblieben, aber unter diesen Bedingungen in NRW eben nicht.

  • KS
    Karl Steininger

    "Bayern zahlt Quereinsteigern doppeltes Referendarsgehalt" - schön wärs. Leider stimmt das überhaupt nicht. Das Referendarsgehalt in Bayern beträgt 1083,62 Euro pro Monat Brutto für Gymnasiallehrer - auch für Quereinsteiger.

    Als Quereinsteiger in Bayern weis ich das aus eigener Erfahrung.

  • L
    Lehrermangel

    Die aggressive Anwerbung von Lehrern in Hessen scheint mir äußerst suspekt. Sehr oft schon ist mir zu Ohren gekommen, dass in Hessen Lehrer nicht mehr verbeamtet werden, sondern als Angestellte recht wenig verdienen. Zudem sollen sie angeblich alle in den Sommerferien als arbeitslos gelten, damit das Land Geld spart.

    Wer dafür handfeste Beweise hat. Nur her damit!

     

    Jedenfalls sollte man sich gut informieren, wenn man nach Hessen kommt. und es sich vor allem zweimal überlegen, ob man Herrn Koch als Vorgesetzten haben möchte.....

  • PS
    peter schlehmil

    Nachwuchsmangel? - so ein Quatsch. In Thüringen werden keine Lehrer eingestellt, weil das Land kein Geld ausgeben will für eine angemessen Schulbildung der Schüler. Lehrkraftabsolventen gehen von Thüringer Unis und nach dem Referendariat direkt in die Arbeitslosigkeit oder in ein anderes Bundesland. Z.B. zu Anfang des diesjährigen Schuljahres 15 (!) thüringer Absolventen an einer hessischen Schule .