Hochseefischer-Verbandschef über Brexit: „Hunderte Jobs könnten wegfallen“
Die Fischereirechte spielen eine wichtige Rolle bei den Brexit-Verhandlungen. Schließlich stammt unser Fisch vor allem aus der britischen Zone.
taz: Herr Richter, das Thema Fischerei ist einer der großen Streitpunkte zwischen der EU und Großbritannien. Wird es zu einer Einigung kommen?
Uwe Richter: Nach den erfolglosen Verhandlungsrunden bin ich eher pessimistisch. Ein „harter Brexit“ ohne Abkommen wird mit jedem Tag wahrscheinlicher. Aber eine Prognose ist nicht möglich. Es ist, als würde man in eine Glaskugel gucken.
Die Briten wollen die Fangquoten neu verteilen: Sie sollen sich danach richten, wie viel Fisch vor den Küsten der einzelnen Länder vorhanden ist. Was würde das für die deutsche Flotte bedeuten?
Wir würden nicht unerhebliche Quotenanteile verlieren. Es ist nun mal ein Fakt, dass sich die Heringe vor allem vor der britischen Küste aufhalten. Das gilt auch für Makrele, Holzmakrele und Blauen Wittling. Momentan darf die deutsche Flotte etwa 80.000 Tonnen dieser Schwarmfischarten fangen – ein nicht unerheblicher Anteil davon stammt aus der 200-Meilen-Zone der Briten.
Uwe Richter, 58, ist Geschäftsführer der Euro Baltic Fischverarbeitungs GmbH in Sassnitz sowie der Doggerbank Seefischerei GmbH in Bremerhaven. Zudem ist er Vorsitzender des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes.
Die Briten argumentieren, dass die EU acht Mal so viel Fisch in britischen Gewässern fängt wie umgekehrt die Briten in EU-Gewässern. Ist es nicht gerecht, dass die Briten ihren Fisch selbst fangen wollen?
Die jetzige Regelung existiert seit 1973 – seit dem Beitritt der Briten zur EU. Die ganze Infrastruktur in den einzelnen Ländern ist auf die derzeitigen Quoten ausgerichtet, von den Schiffen bis zu den Verarbeitungsbetrieben an Land.
71 Prozent der britischen Fisch-Exporte gehen derzeit in die EU. Ist das ein Druckmittel in den Brexit-Verhandlungen? Nach dem Motto: Wenn die Briten die Fangquoten der EU-Länder nicht verlängern, dürfen sie keinen Fisch mehr in die EU liefern?
Wir stellen die Forderung, dass die Briten ihren Fisch nur in die EU exportieren dürfen, wenn es weiterhin einen Zugang für die europäischen Fischer in die britischen Gewässer gibt. Ich denke, das haben mittlerweile viele britische Fischer verstanden.
EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat angekündigt, dass er den Briten entgegen kommen will: Beim Thema Fischerei solle der Brexit „einen echten Unterschied“ machen.
Ich weiß nicht, was sich dahinter verbirgt. Der endgültige Kompromiss lässt sich daraus nicht ablesen.
Wie viele Arbeitsplätze würde es in Deutschland kosten, wenn die britischen Gewässer künftig Tabu wären?
Es dürften mehrere hundert Arbeitsplätze wegfallen. Momentan gibt es in Deutschland sieben Schiffe für die Hochseefischerei, die weltweit im Einsatz sind und die insgesamt etwa 450 Mann in den Reederein beschäftigen. Vier dieser Schiffe sind derzeit vor allem in britischen Gewässern unterwegs. Hinzu kommen noch viele deutsche Kutter, die auch in britischen Gewässern aktiv sind. Zudem darf man die Dienstleistungsfirmen an Land nicht vergessen – zum Beispiel die Wartung und Versorgung der Schiffe. Und dann gibt es noch die Fischverarbeitung: In Sassnitz auf Rügen verarbeiten wir jährlich 50.000 Tonnen Hering, der vor allem von deutschen und dänischen Schiffen stammt, die im britischen Seegebiet unterwegs sind. Wenn diese Fangquoten wegfallen, müsste das Werk in Sassnitz wohl schließen. Das würde etwa 200 Arbeitsplätze kosten. Weitere regionale Unternehmen, mit denen wir kooperieren, wären ebenfalls betroffen.
Falls es zu einem „harten Brexit“ kommt: Droht dann eine Überfischung, weil die Meere unkoordiniert geplündert würden?
Die Gefahr besteht. Denn die Briten wollen ihre Fangquoten um jeden Preis erhöhen. Hier sind dann alle Küstenstaaten gefordert, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Eine Überfischung muss unbedingt vermieden werden. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die EU ihre Quoten reduziert. Das verlangt das Vorsorgeprinzip.
Spekulieren die Briten darauf, dass die EU im Zweifel nachgibt?
Ich will nichts unterstellen, aber das kann durchaus sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe