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HochschuleUni-Chef aus der Black-Box

Wahlkrimi an der Hamburger Uni: Trotz massiver Proteste gegen das intransparente Verfahren wird der Chef der FU Berlin Dieter Lenzen zum neuen Präsidenten gewählt. Er gilt als autoritär und durchsetzungsstark.

Dieter Lenzen: Ob er in Hamburg auch wieder einschlägt wie eine Rakete?. Bild: dpa

Nervenprobe an der Uni Hamburg. Gestern Nachmittag trafen sich an einem geheim gehaltenen Ort der externe Hochschulrat und der Akademische Senat (AS), um den Berliner FU-Chef Dieter Lenzen zum neuen Präsidenten zu wählen. Am Vortag war der Versuch, die Wahl auf dem Campus durchzuführen, an Studentenprotesten gescheitert. Die Gerüchteküche brodelt, SMS flitzen hin und her. Nein, es werde heute wohl nicht mehr gewählt, glauben die Studierenden im besetzten Audimax. Dafür hatten sich auch alle Dekane stark gemacht. Dann um 15 Uhr ein Anruf vom Deutschen Elektronensynchrotron (Desy)-Gelände in Bahrenfeld. Eine Stunde noch, dann ist Lenzen Präsident.

Ein studentisches AS-Mitglied geht raus aus der Sitzung, weil er es nicht aushält. "Ich bin schockiert, vor dem Hintergrund der gestrigen Vorkommnisse und der undemokratischen und intransparenten Verfahrensweise, dass der AS beschlossen hat, die Abstimmung zur Bestätigung Lenzen heute durchzuführen." Es geht um den Ersatz für die im Sommer geschasste Raketenforscherin Monika Auweter-Kurtz. Diese war vom Hochschulrat ausgewählt worden. Nach ihrer Absetzung versprachen CDU und Grüne bei der Nachfolge für ein demokratischeres Verfahren zu sorgen.

Doch der Hochschulrat nahm die Sache wieder auf seine Weise in die Hand. Ein Headhunter wurde beauftragt, Kandidaten zu suchen und eine Findungskommission gegründet, die zu absolutem Stillschweigen verdonnert wurde. Bis Donnerstag, als sich ein Professor vor 1.000 protestierenden Studenten verplapperte, war die Personalie Lenzen nur ein unbestätigtes Gerücht.

Der neue Chef

Von Hause aus ist Dieter Lenzen, 61, Erziehungswissenschaftler. 1975 wurde er als jüngster deutscher Hochschullehrer mit 28 Jahren Professor in Münster. Nach Gastprofessuren in Japan ging er 1978 an die FU Berlin, deren Präsident er seit 2003 ist.

Erfolge: Unter Lenzen wurde die FU 2007 in die Exzellenzinitiative aufgenommen. Bei seiner zweiten Amtszeit als Unipräsident erhielt er weniger Gegenstimmen als bei der ersten.

Kritik: Die Studierendeninitiative "Dieter Lenzen - Not My President" wirft dem Botschafter für die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", einem neoliberalen Thinktank, eine zu wirtschaftsnahe Ausrichtung der FU vor. Außerdem soll Lenzen einen Bewerber, der im Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung sitzt, trotz positiven Votums der Berufungskommission von der Besetzungsliste für eine Professur gestrichen haben.

Es gab mehrere geeignete Bewerber, aber anders als versprochen werden dem AS nicht drei, sondern nur ein einziger Kandidat vorgestellt, nach der Methode: der oder keiner. Lenzen selbst habe darauf bestanden, heißt es. Würde er gewählt, sei dies "ein echter Coup", lässt der Hochschulrat verbreiten.

Aber der zum "Hochschulmanager des Jahres 2009" gekürte Erziehungswissenschaftler ist auch an seiner jetzigen Wirkungsstätte umstritten. Käme er, so die Befürchtung, brächte er einen ähnlichen Führungsstil mit wie Vorgängerin Auweter-Kurtz.

Eine Demonstration mit über 800 Studierenden besuchte deshalb am Donnerstag die geplante erste Sitzung des AS, setzte durch, dass das Gremien in den Audimax umzog, wo vor tausend Leuten diskutiert wurde. "Wir sind hier, um Ihnen deutlich zu machen, wir wollen Lenzen nicht", sagte ein Student und erntete tosenden Applaus.

Als im Anschluss Hochschulrat, Kandidat und AS im benachbarten Mineralogischen Museum tagten, sammelte sich auch dort vor der Tür eine Traube von Protestierenden, von denen etwa 20 in den Saal eindrangen. Lenzen fühlte sich bedroht und brach seinen Vortrag ab. Doch die per Twitter verbreitete Kunde, er habe seine Kandidatur zurück gezogen, wird von einigen Protestlern als Ente eingestuft.

Sie sollten recht behalten. Niemand wusste, dass AS und Lenzen Tags drauf im Desy tagen würden, der Wirkungsstätte von Hochschulratschef Albrecht Wagner. Er habe einen Vortrag gehalten und viele "herumgerissen", heißt es. Am späten Nachmittag dann die Pressemitteilung: Lenzen mit deutlicher Mehrheit gewählt. Von 17 AS-Mitgliedern sind nur zwei dagegen, einer enthält sich.

Er sei "beeindruckt" von dem Ergebnis, erklärt Lenzen. Das sei eine "gute Grundlage" um der Stadt bald seine Entscheidung mitzuteilen. Lenzen sei der Falsche, sagt ein Ethnologiestudent. "Wir brauchen jemand, der für Demokratie steht, nicht für Marketing." Und einer seiner Kommilitonen ergänzt: "Ich wette drei Kisten Bier, dass wir ihn schneller loswerden als Auweter-Kurtz".

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5 Kommentare

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  • J
    johndoe

    Lenzen wird in Hamburg nicht glücklich werden.. wer für ein System steht dass die Studenten von vorne bis hinten verarschen will (siehe seine Wahl) muss sich nicht wundern wenn die das irgendwann persönlich nehmen.. und das tun wir mittlerweile.

  • WR
    Wolfgang Roderich

    Gilt eigentlich § 80,3 Satz 4 HmbHG nicht mehr?

     

    http://hh.juris.de/hh/HSchulG_HA_P80.htm

  • U
    UnserePresse

    Kritische Kommentare bitte zB. an presse@uni-hamburg.de.

  • F
    Fritz

    So vieles an diesem Verfahren war bezeichnend.

     

    Dass A. Wagner um nichts in der Welt das verbotene L-Wort "Lenzen" aussprechen wollte, obwohl jeder (!) der über 1.000 Anwesenden im Audimax genau wusste, wer der "verbliebene Kandidat" war und eben dieser vermutlich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Campus war.

     

    Dass immer wieder betont wurde, die Bestätigung Lenzens durch den AS stünde nur "pro forma" auf dessen Tagungsordnung. Man könne sich ja auch anders entscheiden.

     

    Dass die AS-Sitzung im Audimax kurzerhand abgebrochen wurde - und dazu war man keineswegs "gezwungen". Im Gegenteil, viele Kommilitonen versuchten immer wieder erfolgreich, eine ordentliche, öffentliche Sitzung trotz mancher lautstarker Zuschauer möglich zu machen.

     

    Dass ab diesem Zeitpunkt wiederum alles (!) im Geheimen ablief. Nichts sollte an die Öffentlichkeit dringen, weder Vorgehensweise, noch Stand oder gar Zeit und Ort der Sitzungen. Die Wahl war insofern nicht mit der Papstwahl vergleichbar, denn da ist bekannt, wann und wo gewählt wird.

     

    Dass der studentische Vertreter Gildemeister nichts daran fand, diese überrumpelnde Heimlichtuerei mitzumachen.

     

    Und so weiter. Man befürchte einen "Imageschaden", deshalb habe man Lenzen so schnell wählen müssen, ließen AS-Mitglieder Freitag mitteilen. Den gibt es längst. Die Wahl von Lenzen hat gigantischen Flurschaden an der Uni hinterlassen. Dieses Vorgehen war nicht durch die Gesetzeslage determiniert, es wurde aktiv gewählt, insbesondere durch den Vorsitzenden des HS.

  • H
    Hamburger

    gilt eigentlich § 80,3 Satz 4 nicht mehr?

     

    (3) 1 Die Amtszeit beträgt sechs Jahre. 2 Wiederwahl und Wiederbestellung sind möglich; in diesem Fall kann die Amtszeit bis zu sechs Jahren betragen. 3 Kandidiert eine Präsidentin oder ein Präsident erneut und sind Hochschulrat und Hochschulsenat mit der Wiederbestellung einverstanden, ist sie oder er erneut dem Senat zur Bestellung vorzuschlagen, ohne dass ein Verfahren nach Absatz 2 durchgeführt wird. 4 Bestellt werden soll nicht, wer vor Ablauf der Amtszeit nach Satz 1 das 65. Lebensjahr vollenden würde; dies gilt nicht im Fall der Wiederbestellung nach Satz 2.