Hochschul-Studie: Studiengebühren schrecken Schüler
Fast 20.000 Abiturienten entschieden sich wegen Studiengebühren gegen die Uni, so eine Studie. Das Bildungsministerium soll dieses Ergebnis vor dem Bildungsgipfel zurückgehalten haben.
Zwei Tage vor dem Bildungsgipfel in Dresden wird die Glaubwürdigkeit der Bildungsministerin des Bundes, Annette Schavans (CDU), schwer erschüttert. Schavan hat in ihrem Haus offenbar eine Studie zurückgehalten, die beweist, dass Gebühren Studienwillige vom Gang an die Hochschulen abschrecken. Allein vom Abiturjahrgang 2006 haben bis zu 18.000 junge Leute kein Studium aufgenommen - weil sie Gebühren fürchteten. Das zeigt eine Studie des Hochschulinformationsystems HIS in Hannover, das im Auftrag der Bundesregierung und der Länder arbeitet.
Schon die Debatten über Studiengebühren habe unter Abiturienten und jungen Menschen mit Fachhochschulreife zu erheblicher Verunsicherung geführt, heißt es in dem Papier, das die Agentur dpa verbreitete. Die Abschreckung wirke sogar auf AbiturientInnen in Ländern, die keine Campus-Maut eingeführt haben.
Im Bundestag gab es empörte Reaktionen darauf, dass kritische Ergebnisse der Hochschulforschung vor der Öffentlichkeit verheimlicht würden. Grüne, Linke und FDP forderten, die Studie unverzüglich auf den Tisch zu legen. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, es habe "keinen Sinn, einen großen Bildungsgipfel zu veranstalten, wenn man auf der anderen Seite Studienzugänge durch Studiengebühren schwermacht". Der bildungspolitische Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Michael Kretschmer, sagte, es dürften "diejenigen, die ernsthaft und engagiert studieren wollen, nicht abgeschreckt werden". Laut HIS würden gerade junge Frauen und Abiturienten aus Arbeiterelternhäusern durch Gebühren vom Studium abgehalten - Letztere gelten seit Jahren als an den Unis weit unterrepräsentiert (siehe Grafik).
Der Blick auf die Studentenzahlen zeigt, wie gravierend der Schockeffekt sein muss. 2003 war mit 377.500 Neueinschreibungen ein Anfängerrekord erzielt worden. 2007 waren es mit 358.670 Studienanfängern knapp 19.000 Neueinschreibungen weniger - obwohl im gleichen Zeitraum die Zahl der Studienberechtigten um mehr als 63.000 gestiegen ist. Seit etwa zwei Jahren rätseln Experten, warum die Anfängerzahlen schrumpfen. HIS scheint herausgefunden haben, warum dies so ist. Das Papier stützt sich auf die Befragung von 5.240 repräsentativ ausgewählten Studienberechtigten des Jahrgangs 2006 sowie auf die regelmäßige Abiturienten-Untersuchungen des HIS.
Eine Sprecherin von Annette Schavan wies zurück, dass die Studie unter Verschluss gehalten werde. "Es stimmt auch nicht, dass Gebühren vom Studium abhalten", sagte die Sprecherin der taz. Die Studie werde in etwa vier Wochen vorgelegt.
In der Koalition hängt wegen der Angelegenheit der Haussegen schief. "Es ist ein bemerkenswerter Vorgang", sagte die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), "dass die Ministerin selbst dann die Herausgabe der Studie an Parlament und Koalitionspartner verweigert, wenn sie bereits öffentlich ist." Es gehe offensichtlich darum, unbequeme Wahrheiten vor dem Bildungsgipfel zurückzuhalten. Die Ausschussvorsitzende bat vor zwei Monaten um die Studie - und erhielt keine Auskunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen