■ Hoch oben im Frankfurter Messeturm: Fünf Knöpfe für das Hitlergold
Baust du ein Haus, so bau es vollends aus. So lehrt uns ein altes Sprichwort. Und man fragt sich, warum ausgerechnet die ehrgeizigsten und himmelstrebendsten Bauherren der Republik, die Banker, diese einleuchtende Spruchweisheit ignorieren sollten. Womöglich tun sie es aber.
Um dem latenten Vorwurf der Geheimniskrämerei endlich entschlossener zu begegnen, wurde vor kurzem im bankenreichen Frankfurt am Main ein erstes und hoffentlich nicht letztes „Wolkenkratzer-Festival“ bewerkstelligt. Transparenz und Türoffenheit für alle. Doch bei aller menschlichen Wärme, die das kälteste Gewerbe der Welt, die Hochfinanz, für kurze Zeit an den Tag legte – es bleibt auch weiterhin erheblicher Aufklärungsbedarf. Aufklärungsbedarf für neun Etagen.
„Hochhäuser zeigen Frankfurt als schöne, moderne und künstlerische Stadt“, hatte eine sichtlich bewegte Oberbürgermeisterin noch vor der Alten Oper gezirpt, dann wurde das Fußvolk in die umliegenden Geldfördertürme entlassen. Nach ganz oben, wohin es naturgemäß die Menschen drängt.
Leidenschaftliche Wolkenkratzer jedoch konnten an diesem Samstag morgen bereits in Kopfhöhe ihrer Tätigkeit nachgehen. Tief hing das Regenwetter im Frankfurter Westend, und der Weg hoch zum Himmel war mühseliger und verbauter, als manche sich das zunächst gedacht hatten.
Die meisten, die kamen, mußten ganz unten bleiben, denn sie kamen nicht hinein. Immerhin 40.000 hatten zwar noch rechtzeitig Tickets ergattert und durften eines der 13 ragenden Bauwerke im Fahrstuhlschacht erklimmen, aber nicht alle bekamen die Aussicht geboten, die möglich gewesen wäre. Wer sich für den Messeturm entschieden hatte – bis vor kurzem noch das höchste Haus des Kontinents –, wurde nur bis zur 26. Etage vorgelassen. Die restlichen 38 blieben dicht. Da hatten es die Gäste der Deutschen Bank besser: Sie durften bis in die Troposphäre der immerflüssigen Geldwelt vordringen, in die oberste Geschäftsetage, die sonst nur dem Vorstand vorbehalten ist. Hoch in den 35. Stock.
Viel zu sehen gibt es da leider nicht. Einen großen, leeren Raum, in dem die staunenden Kleinsparer und Normalverbraucher ihre Nasen an die Fensterscheiben drücken, außerdem einen großen, unförmigen, weißen Plastikverschlag und einen Tisch mit Prospektblättchen „für unsere Besucher“. Nebenan ist der Tagungsraum des Vorstands, ein furniertes und ledernes Trumm von Räumlichkeit, das unverhohlen und unübersehbar die ewige Antinomie von Geld und guten Geschmack zur Schau stellt. Echte Profianbauten: Sie stapeln hoch und lassen tief blicken.
Doch sind wir auch wirklich ganz oben? Aber ja! Hier oben, erklären einem festlich gestimmte Hostessen, ist man wirklich ganz oben. Mehr geht nicht. Über uns nur noch die Küche.
Nun ist das Machtzentrum des gewaltigsten deutschen Geldinstituts, entsprechend seinem Selbstverständnis, auch rein äußerlich präsenter als die Konkurrenz. Gleich doppelt ragen die Türme erektil in den Himmel, Architektur wie gestapeltes Geld, metallisch glänzend, insgesamt „ca. 158m, 3 Kellergeschosse, 40 Obergeschosse“. So teilt es nüchtern das Prospektblättchen mit. Doch wenn wir jetzt in Etage Nr. 35 sind und über uns gekocht wird, was geschieht dann in den restlichen vier Etagen? Und wo sind die?
Es gibt keine, hauchen die Hostessen, wir sind hier ganz oben. Über uns ist nichts. Nur eine Etage unter uns. Da, so wird gemunkelt, sei gerade der Telekom-Vorstand vorstellig geworden. Wir ahnen, worum es geht: Geleitschutz für den Börsengang, Ron und Hilmar machen den Sack zu. Der weiße Plastikverschlag, ein provisorisches Sicherheitsrisiko, verdeckt die Wendeltreppe nach unten. Aber dahin wollen wir gar nicht.
Wir bleiben nämlich bockig und deuten aus dem Fenster auf den Zwillingsturm. Im dezent glitzerndem Glas verfolgen wir die Geschoßlinie von „Soll“ entlang nach „Haben“. So nennt der berüchtigte Volksmund die beiden Türme. Kein Zweifel: „Haben“ da drüben hat noch fünf Stockwerke über sich. Mindestens. Und „Soll“ somit auch.
Eine optische Täuschung, parieren die Hostessen und versuchen, unsere Etagenbilanz zu frisieren. Von wegen! Zwei mal fünf Stockwerke minus Küche macht neun freie Etagen hinter Spiegelglas. Was mag sich da oben verbergen? Der seit 436 n.Chr. vermißte und verzinste Nibelungenschatz? Das Hitlergold, die Oetkermillionen? Das Haushaltsloch der Bundesregierung? Der geheime Geldspeicher für hohe und höchste Gewinne? Oder ein Banker-Recreation-Center mit Whirlpool, Darkroom und 18-Loch-Golfplatz? Das Phantom der Bank, der spukende Geist von Hermann Josef Abs sel.? Wurden die Räume gar an Studenten vermietet, um so der Bank ein kleines Zubrot zu verschaffen? Fragen, die hier keiner beantworten will, schon gar nicht die unbarmherzig freundlichen Hostessen, die nun bedauern, daß wir nicht länger bleiben können.
Im Fahrstuhl lassen wir möglichst nonchalant ein gelangweiltes „nach oben“ fallen. Mitleidig lächelnd verweist der Pilot auf seine 35 Knöpfe. Mehr hat er nicht. Damit kommt der nicht mal bis zur Küche. Aber wir auch nicht, denn schon sacken wir nach unten wie eine von Hilmar Kopper persönlich fallengelassene T- Aktie.
Das kann uns beim „Wolkenkratzer-Festival 1997“ nicht mehr passieren. Dann haben wir die fehlenden fünf Fahrstohlknöpfe dabei und schauen selbst nach. Oliver Schmitt
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