: Historisches Theorietheater
■ Irgendwie überflüssig: Ibsens „Baumeister Solness“ am Schauspielhaus
Was da nicht alles drin steckt! In Ibsens „Baumeister Solness“. Schuldgefühl: Weil sich der Baumeister das Feuer wünschte, dem letzt-endlich seine Kinder zum Opfer fielen. „Generationenkonflikt“: Weil der Baumeister Angst hat, Jüngere könnten ihn überflügeln. Verantwortungslosigkeit: Weil der Baumeister ein junges Mädchen küsst und umsäuselt, dass voll Bewunderung zu ihm aufblickt. Außerdem: Midlife-Crisis, Ehekrieg, fehlende Trauerarbeit. Summa Summarum: Viel Psychologie. Aber wenig gutes Theater in der vorvorletzten Premiere dieser Schauspiel-Spielzeit (Regie: Andreas v. Studnitz).
Dabei ging es verheißungsvoll los. Detlev Greisner glänzte als fieser Erfolgs-Architekt, der den Vorgänger demütigt und keine Nachfolge zulässt. Lustvoll ausgespielter Zynismus, sarkastisches Gestichel mit Gattin Aline (Gabriele Möller-Lukasz) – gute Schauspieler in guten Rollen. In den funktionalen Schick des Architektenbüros platzt Hilde hinein, das Mädchen von damals (Jördis Triebel) – mittlerweile eine forsche Mischung aus Pipi Langstrumpf und Britney Spears. Mit vorgerecktem Hals durchwirbelt sie das Ambiente, bringt Bewegung in Solness' fixierte Gedankenwelt. Das ist ihr heilsam-offensiver Part.
Dann – umsonst ist die Schulter nicht nackt – gemahnt sie ihn an seine damaligen Versprechungen: „Sie küssten mich, Baumeister Solness“. Jetzt soll er ihr – sofort – das Luftschloss bauen und schon mal ein schwindelerregend hohes Baugerüst erklimmen, um den Richtkranz zu befestigen.
Jetzt ist sie es, die die (physischen) Grenzen des 60-Jährigen nicht respektiert und die eigenen Sehnsüchte absolut setzt. Solness wird letztendlich freiwillig hinaufklettern – in einer ähnlichen Art von Freiwilligkeit, mit der sich das Mädchen Hilde küssen ließ. Diese Interpretation gibt Ibsens Text durchaus her. Denn: Missbrauch durch Erwachsene geschieht auch, wenn Minderjährige „wollen“. Insofern handelt die erwachsene Hilde als sexuell Geprägte.
Doch die Dialoge, in denen sich all das darstellt, sind tödlich für die Spannungskurve, vor allem im Mittelakt. Aus der wilden Hilde wird über weite Strecken ein leicht abwesendes Sofa-Gegenüber, das mit Solness in verhaltenem Tonfall Vergangenheit und Gegenwart verhandelt. Man atmet auf, wenn solche Szenen durch den Auftritt eines Dritten zum Ende kommen.
Die Ibsen-Inszenierung als Theorietheater findet ihren Höhepunkt im Schluss. Der Baumeister klettert, schwenkt den Kranz, fällt. Natürlich im Off. Das Publikum könnte das alles in den Gesichtern der übrigen Darsteller gespiegelt finden, wenn es dort gespiegelt wäre. Allein, von solch singulärer Intensität wäre man auch nicht satt geworden.
Das Vorführen von Lebenslügen, auch der eigenen, ist ein reiches Thema. Und es ist bewundernswert, mit welcher Schonungslosigkeit Henrik Ibsen – 1892 – seine psychologischen Figuren auf die Bühne gestellt hat. Immerhin ist fast das gesamte „Baumeister“-Personal mit konkreten Zeitgenossen in Verbindung zu bringen, mittendrin Ibsen selbst als Solness. Also: Als 64-Jähriger thematisiert er öffentlich die eigene Affäre mit einer 42 Jahre Jüngeren, inklusive des letztendlichen Rückziehers zugunsten seines erstarrten Ehelebens. Das ist historisch bemerkenswert – historisch.
Weder die damals häufige Ibsen-Empörung („eine offene Kloake“), noch die spätere Himmelfahrt auf dem Ticket der Theaterkritik, die den Norweger quasi zur Rechten Shakespeares platzierte, machen seinen Solness heute interessant – schon gar nicht in der derzeitigen Bremer Inszenierung.
Die ausgestellten psychologischen Muster bleiben Versatzstückwerk, die Figuren sind in sich nicht stimmig und verweben ihre Motivationen zu allem Überfluss mit allerlei Archaik und spirituellen Abarbeitungen (etwa als Zwiesprachen des Baumeisters mit seinem „Allmächtigen“). Da mag man das mutige Beibehalten der mysthischen Ebene noch so loben wollen – das Ergebnis bleibt unausgegoren. Und, vor allem, langweilig.
Ibsen war auf vielen Ebenen ein radikaler Infragesteller, der so schöne Sentenzen wie „Der Staat muss weg!“ prägte. Und eine „Baumeister“-Premiere 110 Jahre nach der Uraufführung? Ibsen: „Weder die Moralbegriffe noch die Kunstformen haben eine Ewigkeit vor sich.“ Henning Bleyl
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