Historische Ausstellung: Das Zentrum der Macht
In der Topographie des Terrors ist eine kleine, kluge Ausstellung über die Wilhelmstraße im Nationalsozialismus zu sehen - eine Straße, die Synonym für deutsche Politik war.
Wer die Wilhelmstraße vom Halleschen Tor bis Unter den Linden zu Fuß passiert, hat den Eindruck, es mit einer normalen Berliner Innenstadtstraße zu tun zu haben. Auf den rund zweieinhalb Kilometern herrscht viel Autoverkehr, der an der typischen Berliner Mixtur von Altbauten, Brachen und wenig anheimelnden Neubauten vorbeizieht. Unwillkürlich nimmt man die Gravur der Geschichte wahr, die überall in der Berliner Mitte präsent ist. Wo die Mauer die Wilhelmstraße bis 1989 teilte, strömen Touristen, nach links ist das offene Gelände der Topographie des Terrors zu sehen. Es ist auf diesem Spaziergang das erste ins Auge springende Zeichen für das, was die Wilhelmstraße nach 1933 war: die Zentrale des NS-Terrors. Hier standen das Gestapo-Hauptquartier und das Reichssicherheitshauptamt, die logistische Zentrale des Holocaust.
In der Topographie des Terrors ist nun eine kleine, kluge Ausstellung zu sehen, die die Geschichte der Straße nach 1933 erzählt. Das mag an diesem Ort wie reine Selbstreferenz erscheinen – aber das ist es nicht. Es ist vielmehr der Versuch, die Geschichte dieses Straßenzuges vor Augen zu führen und in ihrer Architektur die Machtergreifung der Nazis pars pro toto anschaulich werden zu lassen.
Die Ausstellung, kuratiert von der Historikerin Claudia Steuer, simuliert einen Gang durch die Straße Ende der Dreißigerjahre. Die Idee ist simpel: Man steht vor zweieinhalb Meter hohen und 1,50 Meter breiten Fotos der wichtigsten Gebäude – vom Auswärtigen Amt über die Reichskanzlei bis zum Reichsluftfahrtministerium. Allerdings hat dies nichts, wie man argwöhnen könnte, von legolandhaftem Modellnachbau. Die Fotos sind meist nicht frontal aufgenommen, sondern perspektivisch. Kurzum: Die Inszenierung verlangt dem Publikum eine gewisse räumliche Intelligenz ab. In die Fotowände sind zudem Türen eingelassen, die das Innenleben der Häuser hinter den meist klassizistischen Fassaden zeigen: Fotos und Biografien der Akteure der NS-Verbrechen.
„Wie im Traum“
Die Wilhelmstraße war, was dem heutigen Passanten kaum noch begreiflich ist, von 1870 bis 1945 das deutsche Machtzentrum. „Die Wilhelmstraße“ war das Synonym für deutsche Politik, so wie es Downing Street und Kreml noch heute für Großbritannien und Russland sind. Deshalb konzentrierten sich die Nazis darauf, sie symbolisch und real zu besetzen. „Es ist fast wie im Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns“, schrieb Goebbels am 30. Januar 1933 in sein Tagebuch. Weil es den Bildern des SA-Fackelzugs über die Wilhelmstraße am Tag der Machtergreifung an Eindrücklichkeit mangelte, inszenierten die Nazis das Ganze 1937 mit ordnungsgemäß formierten, propagandakompatiblen Menschenblöcken noch einmal.
Diese Anekdote spiegelt, was die Nazis mit der Straße taten: Sie versuchten, sie ihrer megalomanen Machtinszenierung anzupassen. Noch 1933 war die Wilhelmstraße ein Ensemble, dem man den barocken Ursprung deutlich ansah: Die meisten Häuser waren nur zweistöckig, die Gründerzeitbauten höchstens dreistöckig. Im kleinteiligen Gesamteindruck ähnelt die Wilhelmstraße in den 20er-Jahren im heutigen Berlin vielleicht am ehesten Rixdorf in Neukölln. Das Auswärtige Amt war einst Bismarcks Wohnhaus gewesen, Kitsch und Pomp des Wilhelminismus spiegelte eher der Berliner Dom. Den Nazis war dieser Mangel an brauchbarer Herrschaftsarchitektur ein Dorn im Auge. Als Erstes ließen sie einen gigantischen, 2.000 Zimmer umfassenden Büroklotz an die Ecke Leipziger Straße bauen. Dort residierte Görings Luftfahrtministerium. Architekt war der zu Recht vergessene Ernst Sagebiel, der auch den Tempelhofer Flughafen baute.
Hitlers Neue Reichskanzlei, von Albert Speer entworfen, wurde zu einem Symbol der NS-Architektur, die die barocke Anmutung des Viertels zu zermalmen schien. Ein Komplex jenseits des menschlichen Maßes, mit hunderte Meter langen Raumfluchten, eine Art Neoklassizismus auf Viagra. „Wer die Reichskanzlei betritt, muss das Gefühl haben, vor den Herren der Welt zu treten“, so Hitler 1941. Zehn Jahre später wurden die Ruinen abgerissen.
Die Ausstellung hat etwas sympathisch Kleinteiliges und verzahnt Politik- und Architekturgeschichte. Einen neuen Forschungsstand, der hier veröffentlicht würde, gibt es nicht. Dennoch: „Die Wilhelmstraße 1933–1945 – Aufstieg und Untergang des NS-Regierungsviertels“ dient einer aufklärerischen Heimatkunde.
Wer die Ausstellung verlässt, sollte sich noch eine halbe Stunde Zeit nehmen und von der Wilhelmstraße, in der so viele Grausamkeiten geplant wurden und die so furchtbar zerstört wurde, nach Norden in Richtung Leipziger Straße schlendern. Man passiert Görings 2.000-Zimmer-Klotz, wo heute Schäubles Finanzministerium zu Hause ist. Schräg gegenüber jenseits der Leipziger Straße liegt der Wilhelmplatz. Bis 1933 fanden sich hier Ministerien. Doch der von Baumreihen durchzogene Platz behielt stets etwas Bescheidenes, fast Beschauliches. Die Nazis funktionierten ihn zum Aufmarschplatz um, der herrschaftliche U-Bahn-Eingang Mohrenstraße wurde verkleinert, die Bäume verschwanden.
Heute ist der Wilhelmplatz ein merkwürdig verhuscht wirkendes Areal, ohne Gesicht und Proportion. Dort liegt die tschechische Botschaft, ein dunkelverglastes Monument realsozialistischer Scheußlichkeit, am Kopfende der U-Bahnhof Mohrenstraße. Der Marmor im Inneren der U-Bahn, sagt die Legende, stammt aus den Trümmern von Hitlers Reichskanzlei. Das ist der einzige – und wohl falsche – Verweis darauf, was dieser Ort einmal war. Der Wilhelmplatz gibt nichts mehr von seiner Geschichte her. Dort, umtost von Autolärm und vis-a-vis des Supermarktes, mag man das Verschwinden des deutschen Machtzentrums Wilhelmstraße am intensivsten nachempfinden können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben