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Historiker–Streit um Bonns Geburt

■ Sextaner–Latein ermöglicht 2000–Jahr–Feier der Bundeshauptstadt / Wie eine Siedlung vom Atlantik an den Rhein verlegt wurde / Hauptsache: Feier / Den Stadt–Oberen scheint scheißegal, auf wann ausgewiesene Historiker die erste Namensnennung festlegen

Aus Bonn Jochen Buchsteiner

Seitdem sich Bonn nicht mehr als provisorische Hauptstadt begreift, wird das Metropölchen mächtig kapitalisiert, aufgepustet und geschminkt. Im kommenden Jahr soll es nun auch glanzvoll in den Schoß römisch–europäischer Kulturstätten aufgenommen werden: Mit Pomp, Glamour und 14 Millionen Mark feiert Bonn sein 2000jähriges Bestehen. Doch ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Vorbereitungen treten jetzt Bonner Historiker und Archäologen an die Öffentlichkeit und behaupten Gemeines: Das Jahr 11 v. Chr. ist als Bonner Geburtsjahr wissenschaftlich nicht haltbar. Die Schriften des römi schen Rhetors Florus nämlich, mit denen das Jubiläum bisher belegt wurde, seien falsch verstanden worden. Bisher stützten sich die städtischen Jubiläumsrechner auf eine handschriftliche Überlieferung der Anfang des zweiten Jahrhunderts verfaßten Florusnotiz, die von einem Brückenschlag zwischen „Bonnam et Gesoniam“ erzählt. Da lag es für die Bonner Archivare nahe, die beiden Brückenufer mit der heutigen Hauptstadt und dem rechtsrheinischen Beuel zu übersetzen. Inzwischen aber führen die Bonner Historiker eine sehr viel jünger und damit zuverlässigere Überlieferung ins Feld: In ihrem „Codex Bambergensis E.“ ist die Rede von einem Brückenbau zwischen „Bormam et Caesoriacum“, was in einer ganz anderen Ecke der europäischen Landkarte zu suchen ist. Denn Caesoriacum - so viel ist sicher - entspricht dem Küstenörtchen Boulogne– Sur–Mer. Und das liegt nicht am deutschen Rhein, sondern am französischen Atlantik. Ein Brückenschlag vom Rhein an den Atlantik gilt unter allen am Streit Beteiligten als unwahrscheinlich. Indes spricht vieles für die „französische Lösung“, die auch in den Augen des Althistorikers Dr. Manfred Rösger viel mehr „Sinn“ macht. Schließlich wollte Florus, seines Zeichens Rhetoriker, seine Zeitgenossen für die ruhmreiche römische Vergangen heit begeistern. Daher hat er seinen Helden Drusus stets im Zusammenhang mit kriegerischen Erfolgen erwähnt. Ein solcher Erfolg war die Befestigung des Küstenorts Boulogne–Sur–Mer, die der Eroberung Großbritanniens diente. Gemeint ist eben nicht eine Siedlungsgründung im Rheintal, die lediglich die äußerste Grenze des römischen Imperiums markierte und eher als Symbol für die Uneinnehmbarkeit Germaniens stand. Nein, das war nicht der ungestüme Sieger, als den Florus den Drusus gern präsentierte. „Wie paßt denn das ins Konzept, wenn der Held Pleiten produziert?“, fragt denn auch Rösger und weiß, daß er darauf keine Antwort erwarten darf. Nicht jedenfalls von den Schirmherren der großen Feier, denen die Panne der städtischen Jubiläumsrechner mit Sicherheit nicht ins Konzept paßt. Oberbürgermeister Hans Daniels und Projektchef Willy Sauerborn sind freilich zu beschäftigt, um Stellung zu beziehen. Dafür nimmt es deren Pressestelle um so gelassener: Sicher, ein Wermutstropfen sei diese leidige Historiker–Debatte schon, von einer Pleite könne indes keine Rede sein. Auf Stadtarchivar Manfred Van Rey, der sich für die Florus–Quelle verbürgt, sei nämlich Verlaß. Der aber verdrückt sich lieber aus dem Schußfeld der treffsicheren Uni–Historiker und verweist auf Professor Harald von Petrokovits, den „Nestor der römischen Provincialarchäologie in Deutschland“. Dieser habe zum Projektbeginn vor zehn Jahren die umstrittene Florus–Schrift abgesegnet. Und das müsse ja wohl reichen. Doch wie man heute weiß, kann auch eine Koryphäe etwas übersehen. Denn Drusus war im vermeintlichen Geburtsjahr ganz woanders. 11 und 12 v. Chr. balgte er sich zwischen Nordsee, Lippe und Weser mit den Chauken oder den Sigambrern, vielleicht auch mit den Usipetern. Selbst wenn die Florus–Quelle stimmen sollte, kann also Drusus die heutige Bundeshauptstadt nur 13 oder 9 v. Chr. aus der Erde gestampft haben. Doch nicht einmal das stimmt: Der Bonner Archäologe Gechter buddelte inzwischen Funde aus, die darauf hinweisen, daß sich bereits 30 v. Chr. Germanen an dieser Stelle niedergelassen haben. Dann hätte man den Geburtstag bereits verschlafen. Wenn aber nach altem Brauch die erste gesicherte Erwähnung die Geburtsstunde einer Stadt festlegt, dann muß der halbseidene Florus zurückstehen und den Platz für den seriöseren Tacitus freimachen. Dessen Erwähnung der „Castra Bonnensia“ halten alle für niet– und nagelfest. Nur war das 69 nach der Stunde null, womit das strahlende Fest um achtzig Jahre verschoben werden müßte. Dann allerdings hätte keiner der heute amtierenden Stadtgrößen etwas davon. Zumindest die Bonner CDU wird sich ihr Spektakel nicht durch die Lappen gehen lassen. Schließlich stehen unmittelbar im Anschluß an die Feiern Kommunalwahlen an, bei denen es die hauchdünne Mehrheit zu verteidigen gilt. Keine Frage also - das Fest muß her. Die Bonner Pressestelle versichert denn auch: „Komme was wolle, gefeiert wird auf jeden Fall.“ Daran können offensichtlich nicht einmal die Experten etwas ändern, die sich vergangenen Mittwoch zu einer klärenden Podiumsdiskussion zusammenfanden. Ihr Ergebnis war eindeutig: Das Geburtsjahr der Hauptstadt wurde willkürlich festgesetzt. Nicht das historische Interesse sei entscheidend gewesen, mäkelten die Fachleute, sondern politisches Kalkül.

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