Historiker über Gurlitt und die Folgen: „Es wird unglaublich viel verdunkelt“

Hans Prolingheuser kritisiert die Aufklärung im Fall Gurlitt. Und nicht nur die. Viele angeblich zerstörte „entartete“ Werke gebe es noch.

Ein Caspar David Friedrich in der Nationalgalerie Berlin. Der Fall Gurlitt hat die Debatte um Raubkunst wiederbelebt Bild: dpa

taz: Herr Prolingheuer, Sie haben einen Index zur Inventarliste der Aktion „Entartete Kunst“ erfasst. Warum haben Sie sich mit 84 Jahren diese Mühe gemacht?

Hans Prolingheuer: Hitlers komplette Raubliste, so nenne ich diese Liste, kam 1997 in einer Kopie nach Deutschland zurück. Doch sie verschwand bald wieder sang- und klanglos in der Berliner Versenkung. Durch einen großen Zufall kam im September 2013, noch vor Bekanntwerden des Falles Gurlitt, eine Kopie dieser Liste auf meinen Schreibtisch. Das war die Chance, endlich Namen und Details des Hitler-Verbrechens für jedermann zugänglich zu machen.

Und der Index?

Der Index weist über das NS-Staatsverbrechens gegen die europäische Moderne hinaus den Weg zu den beleidigten und verachteten, durch Rufmord und Mord verfolgten Künstlerinnen und Künstlern. Die gehen doch in der ganzen Diskussion völlig unter. Es sind ja nicht nur berühmte Namen unter den Verfemten.

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Hat der Fall Gurlitt für Sie etwas ans Licht gebracht?

Jetzt werden plötzlich die Gurlitts zu Sündenböcken des Kunsthandels gemacht. Dabei wird immer noch unglaublich viel verdunkelt.

Früher hat er Opern komponiert, heute entwirft Ingolf Gabold Erfolgsserien wie „Borgen“ oder „The Killing“. Ein Gespräch über richtig gutes Fernsehen und wie man es macht lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. November 2014. Außerdem: Wie eine Abgeordnete und ein Lobbyist um das Waffenrecht in einem US-Bundesstaat ringen. Und: Joschka Fischer im Interview. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Was?

Staatsanwalt Nemetz und Meike Hoffmann, Expertin für "Entartete Kunst" haben vor einem Jahr in einer gemeinsamen Pressekonferenz erste Lichtbilder aus dem Gurlitt-Nachlass über Saalwand und TV-Bildschirme huschen lassen. Mit dabei ist das Selbstporträt von Otto Dix....

1930 geboren, Der Dortmunder Kirchenhistoriker und Publizist arbeite in verschiedenen Funktionen bei der Evangelische Kirche, er war Lehrbeauftragter für Evangelische Kirchengeschichte an der Universität Marburg und hat mehr als 150 kirchenhistorisch-kritische Veröffentlichungen vorzuweisen. Sein Buch "Hitlers fromme Bilderstürmer - Kirche und Kunst unterm Hakenkreuz" Dittrich Verlag, 2001) ist ein Standardwerk zur Erforschung der NS-Aktion "Entartete Kunst".

...das aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln geraubt wurde...

Was Millionen Menschen sehen, das ist – wie andere gezeigte Titel - laut Hitlers Raubliste vernichtet. Hinter dem Bild steht ein x für 'vernichtet'.

Was heißt das?

Die Behauptung, 5156 Werke seien durch Verbrennung am 20. März 1939 in der Hauptfeuerwache in Berlin-Kreuzberg vernichtet wurden, ist nicht zu halten. Es gibt keinerlei Belege dafür. Das bedeutet, dass Kunstwerke, hinter denen in der Raubliste ein x steht, doch noch existieren. Aber wer sucht schon nach den Bildern, wenn er glaubt, sie wären verbrannt? Für den Kunsthandel und die heutigen Besitzer ist das eine komfortable Situation.

Die Bilder hängen also noch irgendwo an den Wänden?

Nun könnte auch der Enkel in den USA, wie der ehemalige Kulturstaatssekretär Michael Naumann mal vorausgesehen hat, erkennen, dass Opas Erbstück über dem Sofa ein wertvoller Expressionist ist, den Hitler als ‚entartet’ in München rauben ließ. Daher habe ich eine Bitte an die Nutzer der Suchmaschine: Achten Sie besonders auf die Bilder mit dem x.

Sie misstrauen den offiziellen Ergebnissen der Herkunftsforscher?

Die ‚Taskforce Schwabinger Kunstfund’, die die Gurlitt-Sammlung auf Raubkunstverdacht prüfen soll, hat im August mitgeteilt, dass das Max Liebermann-Gemälde ‚Zwei Reiter am Strand’ Raubkunst sei. Auch das ist falsch. Es gibt mehrere Liebermann-Bilder mit einem oder zwei Reitern am Strand. Das Liebermann-Bild, das in der Raubliste aufgeführt ist, wurde damals für 3200 Franken in die Schweiz verkauft.

Viele Experten halten die Beschlagnahme von „entarteter Kunst“ zwar für unmoralisch, aber nicht für unrechtmäßig. Teilen Sie diese Auffassung?

Gar nichts. Denn wenn der Nationalsozialismus ‚entartete Kunst’ von ‚deutscher Kunst’ geschieden hat, dann ist das ganz klar ein rassistisches Motiv und Hitlers Gesetz von 1938 daher Unrecht von Anfang an. Schon deshalb bleibe ich wie bei der inzwischen rechtlich überwiegend unstreitig bewerteten ‚Einziehung’ von Kunstwerken aus jüdischem Besitz, auch im Fall ‚Entartete Kunst’ bei dem Begriff Kunstraub. In all seinen Abwandlungen.

In der taz.am wochenende vom 1./2. November lesen Sie die Titelgeschichte „Die Jäger des verlorenen Schatzes“ – über die verschlungenen Wege verschollener Listen. Und das Ringen um die Aufarbeitung.

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