Historiker über Drogenhandel in Berlin: „Cannabis passt zu diesem Ort"
Auf einer Konferenz diskutieren Stadtplaner, Politiker und Aktivisten über die Zukunft des Görlitzer Parks: Könnte ein Coffeeshop die Konflikte lösen?
taz: Herr Friedrichs, warum verkaufen ausgerechnet im Görlitzer Park so viele Menschen Cannabis?
Jan-Henrik Friedrichs: Der Drogenmarkt ist ein halboffener Markt, der gut zugänglich sein muss. Für den Handel kommen Orte infrage, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfach erreichbar sind, etwa der U-Bahnhof am Kottbusser Tor oder eben der Park in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs.
Park ist aber nicht gleich Park.
Nein, der Charlottenburger Schlosspark funktioniert anders als das Tempelhofer Feld, das wiederum anders funktioniert als der Görlitzer Park. In Letzteren geht man nicht, um zu flanieren oder die Weite zu genießen – sondern vor allem, um etwas zu erleben, zu grillen, Leute zu treffen. Entsprechend passt der gemeinschaftliche Konsum von Alkohol und Cannabis auch zu einem solchen Erlebnisort.
War die Drogenszene in Kreuzberg im öffentlichen Raum in den letzten Jahren stärker ausgeprägt als anderswo?
Nein. Illegalisierte Drogen werden seit den 1960er Jahren an öffentlichen Plätzen sichtbar. Mag sein, dass diese Orte in Vierteln, die als alternativ gelten oder galten – das Hamburger Schanzenviertel oder Kreuzberg – etwas sichtbarer sind. Aber es gibt sie auch in anderen Bezirken: Da war zum Beispiel die TU-Mensa in Tiergarten, der Bahnhof Zoo in Charlottenburg, die Kurfürstenstraße in Schöneberg. Und in anderen Städten gibt es sie natürlich auch. Der Mechanismus ist überall derselbe: Die Szenen werden immer im Wechsel zugelassen und vertrieben.
Gibt es bestimmte Auslöser?
Die Diskussion flammt immer auf, wenn es um neue Orte geht oder die Szene – wie jetzt im Görlitzer Park – zu sichtbar wird. Dann kommt der Ruf nach Polizei, die die Szene vorgeblich auflöst. Aber durch Repression lassen sich Szenen nicht auflösen; sie siedeln sich dann anderswo an. Das Problem ist, dass es bei Debatten um Drogen oft um konkrete Orte oder Konflikte geht, die an diesen Orten auftauchen. Aber indem wir das Problem als räumliches Phänomen begreifen, geraten ganz viele andere Aspekte aus dem Blickfeld. Gerade zum Beispiel die fehlende Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge oder die Kriminalisierung bestimmter Drogen, die zur Entstehung von solchen illegalen Märkten beiträgt.
37, ist Historiker und hat an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada promoviert. Thema: „Urban Spaces of Deviance and Rebellion. Youth, squatted houses and the heroin scene in West Germany and Switzerland in the 1970s und 1980s“. Auf der Tagung hält er einen Vortrag zum Thema „Drogenkonsum, -handel und -politik im Kontext von antibürgerlichen und Alternativbewegungen am Beispiel von Berlin-Kreuzberg“. Am Thema Drogen interessieren ihn vor allem die Wechselwirkungen zwischen abweichendem Verhalten, der Kontrolle öffentlicher städtischer Räume und der Aushandlung und Durchsetzung.
Ist es ein generelles Phänomen, dass Flüchtlings- und Drogenpolitik so stark verschränkt sind?
Nur insofern, als Flüchtlinge auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben – sei es durch Arbeitsverbote oder rassistische Benachteiligung. Daher bietet der Drogenmarkt eine Möglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe. Wenn wir uns aber die oft deutsche Kundschaft angucken, wird schnell deutlich, dass es um ein gesamtgesellschaftliches Thema geht.
Bei der internationalen Fachtagung „Legalize it?! Helfen Coffeeshops bei der Lösung der Konflikte um den Görlitzer Park?“ (
) am Mittwoch, 27. Mai, geht es um Nutzungskonflikte und Lösungsstrategien für den Park. Ins Friedrichshain-Kreuzberg-Museum kommen auf Einladung des Museums und des Bildungswerks der Heinrich-Böll-Stiftung Politiker, Historiker, Betroffene und Aktivisten unter anderem aus Amsterdam, Seattle und Berlin.Gefragt werden soll, wie die Themen Drogen und Asyl miteinander verknüpft sind und welche Konsequenzen welche Lösungen für welche Betroffene haben.
Welche Aspekte spielen bei der Debatte über den Görlitzer Park noch eine Rolle?
Gentrifizierung. Kreuzberg wurde und wird aufgewertet, und nun sind es Mittelschichtfamilien, die als Anwohner ein Recht auf diesen Park einfordern. Man muss aber sehen, dass eine bestimmte Gruppe hier Partikularinteressen als Allgemeinwohl ausgibt. Wieso sollte es ein Recht einer Gruppe auf den Park geben, das über dem Recht anderer Gruppen steht? Es ist ja überhaupt nicht einzusehen, dass schwarze Männer – um die es geht – weniger Recht auf diesen Park haben als Familien mit Kindern.
Allerdings hat die eine Gruppe die Gesetzgebung auf ihrer Seite, die andere nicht – sogar mehrfach nicht, sowohl was den Verkauf von Cannabis als auch was die Arbeits- und häufig die Aufenthaltspapiere angeht.
Ja, das ist eine Machtfrage. Aber es geht hier nicht nur um die Frage von Legalität und Illegalität – Cannabis wird insbesondere in Kreuzberg von vielen als legitime Droge betrachtet. Sondern es geht ganz stark um Ordnungsvorstellungen. Polizei und Ordnungsamt patrouillieren im Park gemeinsam. In der taz wurde ein Mitarbeiter des Ordnungsamts zitiert, der sagt: Verfolgt würden in erster Linie Alltagsverstöße wie zu viel Müll oder Lärm. Dabei werde dann auch mit den Besuchern wegen des Drogenhandels gesprochen. Das heißt, es geht nicht nur um das Durchsetzen eines Verbots, sondern um Vorstellungen von Normen und Ordnung: Es geht um die Frage, wie ein ordentlicher Park auszusehen hat.
Und in einem ordentlichen Park sollte es keine Drogenszene geben.
Das betrifft zuerst die Drogenszene, aber auch viele andere Gruppen. Denn durchaus vorstellbar wäre ja auch die Frage nach einem Grill- oder Alkoholverbot, weil sich Familien von Betrunkenen belästigt fühlen könnten, wie das in Prenzlauer Berg oder Freiburg teilweise der Fall gewesen ist. Die Forderungen, die gerade in Bezug auf den Görlitzer Park aufgestellt werden, sind insofern sehr bürgerlich. Gruppen und Verhaltensweisen, die nicht den Normen der Mittelschicht entsprechen, werden so zunehmend aus dem öffentlichen Raum verbannt. Die Bandbreite geduldeter Verhaltensweisen wird so immer geringer.
Die Familien mit Kindern würden nun wahrscheinlich sagen: "Wir haben nichts dagegen, dass sich hier Gruppen schwarzer Männer aufhalten, solange keine Kokainkügelchen auf dem Boden liegen, die meine Kinder essen könnten."
Diese Angst muss man auf jeden Fall ernst nehmen. Die Frage ist nur, was daraus folgt. Man kennt das von der Heroinszene, da waren Spritzen auf Spielplätzen das Problem. Nur muss auf so etwas nicht immer mit Repression oder Vertreibung reagiert werden. Im Fall der Heroinszene war beispielsweise eine Lösung, Spritzentauschprogramme sowie Orte dafür einzurichten. Auch im vorliegenden Fall würde es sich lohnen, zumindest über alternative Politikansätze nachzudenken.
Welche könnten das sein?
Denkbar wäre statt einer stärkeren Trennung der Gruppen zum Beispiel der Versuch, die Grenze zwischen Spielplatz und Park weiter zu öffnen und zu beleben. Das könnte den Spielplatz als Drogenversteck unbrauchbar machen. Den Park an sich könnten alle Gruppen jedoch weiter gut für sich nutzen. Ich bin aber kein Stadtplaner und hoffe, dass auf der Tagung Impulse für solche Ansätze gegeben werden können.
Jetzt wurde der Görlitzer Park eben irgendwann einmal als Park definiert. Für einen öffentlichen Park gibt es bestimmte Nutzungsansätze. Fordert die eine Gruppe hier zu Recht eine Nutzung zurück, die sie derzeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann? Oder muss eine neue Nutzung festgelegt werden, weil da eben eine neue Gruppe aufgetaucht ist?
Die Stadt ändert sich ständig, weshalb sich auch die Nutzung öffentlicher Orte ständig ändert. Im öffentlichen Raum gibt es häufig Interessenkonflikte. Hier liegt er in der Behauptung, dass der Park in der derzeitigen Situation nicht mehr nutzbar sei. Da muss man aber nur mal hingehen, um zu sehen, dass das nicht stimmt: Der Park ist immer voll. Bestimmte Gruppen fühlen sich darin nur nicht mehr wohl, weil ihnen eine andere Gruppe Menschen vor Ort unangenehm ist. Eine Umfrage des Kinderbauernhofs hat ergeben, dass Anwohner mit Kleinkindern den Park nur noch an ausgesuchten Plätzen nutzen. Da könnte man auch sagen: Dann gibt es doch gar kein Problem.
Weil beide Gruppen den Park an ihren Orten und auf ihre Weise nutzen könnten?
Ja. Man muss nur einen Weg finden, damit die Gruppen auch miteinander auskommen. Das geht nicht immer reibungslos vonstatten, und es braucht vielleicht auch Vermittlung zwischen neuen und alten Gruppen.
Derzeit versucht die eine Gruppe mit Unterstützung des Bezirks, ihre Vorstellungen mit Hilfe von Polizei und Ordnungsamt durchzusetzen. Was folgt aus diesen Patrouillen?
Natürlich sind nicht alle Schwarzen im Görlitzer Park Drogenhändler. Es werden aber immer weniger schwarze Menschen in diesen Park gehen, weil sie Angst vor Kontrollen haben oder von ihnen genervt sind. Die Repression, die Kontrolle kann man nicht auf die Drogenszene als solche anwenden, sondern nur auf Menschen, die man ihr zuschreibt. Dass aber so der Besuch des Parks für alle Menschen schwarzer Hautfarbe zu einem tendenziell unangenehmen Erlebnis wird, ruft ein viel geringeres Medienecho hervor als der Wunsch nach der Vertreibung der Händler.
Hängt das mit der Größe der Gruppen zusammen?
Nein, es hängt damit zusammen, dass es im einen Fall um Menschen der etablierten Mittelschicht mit Kindern und taz-Abo geht, die den Park nur noch eingeschränkt nutzen können. Und auf der anderen Seite stehen Menschen, die den Park unter Umständen bald gar nicht mehr nutzen können, aber einen viel weniger guten Zugang zu Medien und anderen Ressourcen haben. Zudem hat die Mittelschicht die hegemonialen Ordnungsvorstellungen auf ihrer Seite.
Noch ein Einwand: Ist es nicht ein berechtigtes Interesse, dass Kindern oder Jugendlichen, die durch den Park gehen, keine Drogen angeboten werden?
Hinter dieser Angst steckt die Vorstellung, dass Jugendliche von Fremden zum Drogenkonsum verführt würden. Die Forschung sagt aber, dass das nicht stimmt: Der Fremde, der Jugendliche zum Drogenkonsum verführt, ist ein Mythos. Jugendliche greifen zu Cannabis, weil ihre Freunde kiffen. In den meisten Fällen werden Drogen auch später unter Freunden oder in der Schule gehandelt, aber nicht an öffentlichen Plätzen von Fremden gekauft.
Angenommen, es wären keine Schwarzen, die verkaufen würden, sondern Weiße. Würde der Konflikt anders gesehen?
Vermutlich. Cannabis an sich wird in Kreuzberg wie gesagt nicht als gefährliche Droge betrachtet. Und der Konflikt entzündet sich an einer sozialen Gruppe, die seit Jahrzehnten medial mit Kriminalität verknüpft wird. Polizeikontrollen schwarzer Männer bestätigen dieses Bild scheinbar. Deshalb können auch Menschen, die sich selbst nicht als rassistisch begreifen, hier ein starkes Unbehagen erleben. Es greift zu kurz, die Anwohner pauschal als Rassisten zu beschimpfen. Dennoch kann der Konflikt nicht losgelöst von rassistischen Konnotationen betrachtet werden.
Was würde passieren, wenn es einen legalen Coffeeshop im Görli gäbe?
Für diejenigen, die im Park derzeit Cannabis verkaufen, würde sich die Situation verschlechtern, weil sie nicht die wären, die im Coffeeshop angestellt würden. Der Handel würde eingedeutscht. Und ob die Anwohner, die sich jetzt beschweren, dauerhaft mit noch mehr jugendlichen Konsumenten im Park leben könnten, bezweifle ich. Der Erfolg selbst für diese Gruppe wäre also wohl nur temporär.
Sie würden einen Coffeeshop ablehnen?
Der Coffeeshop ist wichtig - nicht als Ergebnis des Prozesses, sondern als Anfang, um über Drogenpolitik neu nachzudenken. Aber Drogenprobleme oder Konflikte über die Nutzung öffentlicher Räume lassen sich nicht ordnungspolitisch lösen. Das sind Aufgaben von Sozial-, Gesundheits- und im konkreten Fall auch Flüchtlingspolitik. Der Bezirk und die Tagung können insofern Impulsgeber sein.
In welcher Form könnte man sich erfolgreiche Drogenpolitik vorstellen?
Ich glaube nicht, dass wir um eine Legalisierung herumkommen, die sowohl Cannabis als auch andere Drogen umfasst. Und in Bezug auf die Normvorstellungen muss immer wieder gesagt werden, dass es eben verschiedene Interessen im öffentlichen Raum gibt - und keine darf sich als Allgemeinwohl ausgeben. Verschiedene Gruppen müssen nebeneinander existieren dürfen. Das betrifft die Mittelschichtsfamilie mit Kindern genauso wie Drogenkonsumenten oder Obdachlose. Das ist das, was urbanes Leben von dörflichem Leben unterscheidet.
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