Hippe Ärzte auf Apple TV: Halbgötter auf Keta
Die Krankenhausserie „Krank Berlin“ inszeniert das tägliche Chaos im Gesundheitswesen als hippes Großstadt-Drama. Das ist ziemlich gelungen.
Ein junger Mann im Kapuzenpulli kommt von einer Technoparty. Er kann kaum mehr stehen und betritt zugedröhnt die Rettungsstelle eines Krankenhauses. Sucht er Hilfe? Nein! Als jemand keine Luft mehr bekommt, nimmt er eine lange Nadel, setzt sie zwischen den Rippen an und stößt unter den entsetzten Schreien einer danebenstehenden Frau in die Lunge und rettet ihm so das Leben.
„Keine Sorge!“, sagt die dazugekommene Krankenschwester. „Das ist Dr. Weber, der arbeitet hier.“
In der Serie „Krank Berlin“ verschwimmen immer wieder die Grenzen zwischen Pflegepersonal, Ärzten und Patienten. Der rasante Achtteiler, eine Koproduktion von Apple TV+ und ZDFneo, konterkariert hingebungsvoll gängige Krankenhausserien. Die Götter in Weiß sind hier keine Moralapostel, sondern junge hippe Großstädter, die nach der aufreibenden Arbeit in der Rettungsstelle gerne tanzen gehen und sich die Kante geben – mit Cocktails, Schnaps oder Opioiden.
Die junge Suzanne Parker (Haley Louis Jones) übernimmt die Leitung der aus allen Nähten platzenden Rettungsstelle, die für die Berliner Szenebezirke Neukölln und Kreuzberg zuständig ist. Mit den dazugehörigen Notfällen: Schusswunden, Herzinfarkte, schwer verletzte Bauarbeiter oder ein von der Polizei ins Koma geprügelter migrantischer Jugendlicher. Die Angestellten kommen kaum hinterher, sind personell unterbesetzt und schlecht ausgestattet.
„Krank Berlin“ stimmt das kürzlich auch in der spanischen Netflix-Krankenhausserie „Atemlos“ bemühte Lied um kaputtgesparte Krankenhäuser an, wo Angestellte täglich den Notstand der verfehlten Gesundheitspolitik verwalten.
Das machen die Mitarbeiter des „Krank“, wie sie ihre Rettungsstelle umgangssprachlich nennen, mit viel Hingabe. Ben Weber (Slavko Popadic) bedient sich zwar gerne beim Betäubungsmittelschrank, was die neue Leiterin unbedingt abstellen will. Aber er kümmert sich auch um kranke Menschen ohne Papiere und leistet Obdachlosen Hilfe.
Heftige Flirts im Flur
Die Chirurgin Emina Ertan (Safak Sengül), die im Dauerclinch mit ihrer Familie liegt, überlegt, nach München zu ziehen, dort einen tollen Job in einem schicken Krankenhaus für sozial deutlich bessergestellte Menschen zu machen, flirtet aber noch heftig mit der Notfallsanitäterin Olivia (Samira Breuer).
Die sammelt mit ihrem Kollegen Olaf (Bernhard Schütz) zum Beispiel einen in die Jahre gekommenen Hausbesetzer oder Patienten auf wilden Partys in verruchten Clubs ein.
„Krank Berlin“ legt ein unglaubliches Tempo vor. Gedreht wurde die hippe Serie, die manchmal etwas zu bemüht am sozialkritischen Puls der Zeit sein will, im Ostberliner SEZ, einem riesigen stillgelegten Freizeitpark mit Waschbetonoptik.
Der Kreuzberger Drogen-Hotspot Kotti ist Hauptdrehort. Während sich die coolen und sehr diversen Krankenhausmitarbeiter am Chaos ihres Alltags vor grün und gelb gestrichenen Betonwänden abarbeiten, droht das Management im Hintergrund den ganzen Laden zu privatisieren.
Das Schöne an dieser flott erzählten Serie ist, dass Ärzte und Pflegepersonal hier keine Helden sein müssen und es dann natürlich doch irgendwie sind.
Aber im Gegensatz zu Dr. House, der tablettensüchtig geniale Diagnosen von sich gibt, macht der zugedröhnte Ben dann doch Fehler und verliert fast seinen Job. Auch wenn sich die Serie an der Ästhetik des hippen und sozial randständigen Berlins regelrecht aufgeilt, lohnt es sich, sie zu schauen.
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