Hip Hop wird instrumental: Der Tod der Reimemonster
Hiphop hat Reime und Machogesten satt. Dope Beats und Tribe Vibes werden dieser Tage in der Tradition des großen Produzenten J Dilla gemacht – ohne Rapper.
Der 10. Februar 2006 ist ein schwarzer Tag für die Hiphop-Nation. Denn an jenem Tag verliert sie James D. Yancey, genannt J Dilla, an die Immunkrankheit Lupus. Wie kein anderer Produzent steht Dilla für die Weiterentwicklung von Hiphop, einer spätestens seit der Jahrtausendwende stagnierenden Musikrichtung.
Die letzten Monate seines Siechtums verbrachte Dilla bereits im Krankenbett, Sampler und Plattenspieler hatte er aber bis zuletzt bei sich. Und so hielt die Welt bereits vor seinem Tod sein Testament in den Händen: „Donuts“, ein Instrumentalkonzeptalbum – nach seiner zuckrigen Lieblingsspeise betitelt. Wobei der Begriff Instrumental bei dem Mann aus Detroit ausdrücklich für die Abwesenheit von Rappern steht. In den Mainstream hatte es Dilla nie ganz geschafft, und dennoch war seine Musik so viel welthaltiger als das ewige Getexte eierschaukelnder Rapstars. Dillas auf „Donuts“ versammelte Ideen hätten für zehn Alben gereicht. „Donuts“ ist eine ganze Bibliothek aus Samples, ein tanzbodenkompatibles Gewirr aus irrlichternden Grooves.
Alleine Dillas Beatdesign legt die Latte für künftige Produzentengenerationen so hoch, dass mehr als zwei Jahre nach seinem Tod immer noch kein ebenbürtiger Nachfolger in Sicht ist.
J Dilla hat sich mit diesem Werk unsterblich gemacht, mit Zuckerguss. Hiphop-Heads fragten sich: Was kommt dann noch, da einer ganzen Musikrichtung der Schrittmacher fehlt?
Seinen kreativen Zenit hat Hiphop bereits in den frühen Neunzigern überschritten. Seit Jahren schon beherrscht das Business Einheitsware im Gewand von Klingeltönen. Die besseren Produktionen von heute schwelgen in der Vergangenheit der Old School. Keep It Real, ist die Devise. Doch Konservatismus hat noch selten Wegweisendes hervorgebracht.
Dass es überhaupt weitergeht mit Hiphop, ist vor allem zwei Brüdern aus Oxnard, Kalifornien, zu verdanken: Otis Jackson Jr. und Michael Jackson. Die Sprösslinge einer Musikerfamilie sind die treibenden Kräfte hinter dem unabhängigen Label Stones Throw. Otis nennt sich Madlib, sein Bruder Michael hört auf den Künstlernamen Oh No. Beide arbeiteten auch eng mit J Dilla zusammen.
Um ihre Klangvisionen zu verbreiten, nutzen sie ein traditionelles Hiphop-Werkzeug um: das Beat Tape. Ursprünglich waren Beat Tapes gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern als Demotape für Rapper, damit die die richtigen Beats für ihre Reime finden. Beat Tapes sind Zusammenschnitte roher Ideen, die Melodien werden nur angerissen. Sie versammeln Grundlagen und lassen Raum für Gestaltung.
Madlib und Oh No haben Beat Tapes zu Kunstwerken gemacht. „Dr. Nos Oxperiment“ von Oh No ist ein Album, das auf Samples von türkischer und libanesischer Tanzmusik basiert. Die Musik leistet weit mehr als nur eine Auflockerung der steifgewordenen Hiphop-Ästhetik. Oh Nos geradlinige, antreibende Rhythmik verbindet sich mit dem melodiösen Geschwurbel des Orients zu einem neuen Sound.
Ins selbe Horn stößt Madlib, der seine Sammlung indischer Popmusik auseinander genommen hat: Sein neues Album „The Beat Konducta In India“ zeigt, wie offen Hiphop als musikalische Kunstform klingen kann. Madlib ist einer der schnellsten Arbeiter im Hiphop-Biz. Jahr für Jahr veröffentlicht er unzählige Produktionen, die stilistisch zwischen Hiphop, Soul, Free-Jazz und sogar Deep-House schwanken. In atemberaubendem Tempo produziert Madlib – und das auf höchstem Niveau. Er gilt als zurückgezogen, gibt kaum Interviews. Selbst auf Tournee begleitet ihn ein portables Studio. Sitzt er nicht am Rechner, stöbert Madlib auf Flohmärkten in Plattenkisten oder denkt darüber nach, was sich aus seinen zahlreichen Instrumenten noch herausholen lässt. Für Partys hat er keine Zeit. Selbst den Fehler hat er in seine Ästhetik integriert. Da kann ein Geräusch zu laut sein, ein Scratch versieben, der Synthesizer enervieren. Wehmütige Melodien treffen auf okkultes Getrommel, Stimmen wirren durch den Raum. Alles ist möglich in Madlibs psychedelischem Klangentwurf. Madlib und Oh No machen Kunst aus dem Fragmentarischen.
Hiphop ist bisweilen glanzlose Wühlarbeit. Diese Erfahrung machte der junge Franzose Arno Bernard. Sein Schlafzimmer-Produzentenpseudonym ist Onra. Bevor er sich an die Arbeit zu seinem Album „Chinoiseries“ machen konnte, hieß es erst mal Rillen schrubben. Auf einer Reise durch Südostasien hatte der 25-Jährige zunächst vergeblich nach Vinyl gestöbert. In Vietnam sind Schallplatten nämlich rot und heute zugunsten von Cassetten und CDs meist nur noch Ramschware. „Chinoiseries“ ist gerade deswegen ein erstaunliches Album, pointiert geschnitten und vielseitig. Selten ist ein Stück länger als eine Minute – Ideen werden angerissen und rasant verworfen. In der Gesamtheit entsteht ein Zusammenhang. „Chinoiseries“ ist mehr Reisetagebuch denn Beat Tape. Es rauscht und knistert, die Geschichte der gefundenen Tonträger fiebert in der Musik mit.
Nun ist es die Welt, die den Hiphop erobert. Und nicht umgekehrt! Das klingt so schön einfach. Wäre da nicht Flying Lotus. Der wiederum klingt, als wolle er die Erde verlassen. Steven Ellison heißt er in seiner irdischen Erscheinungsform. Und seine Großtante ist Alice Coltrane. Von deren Musik fühlt er sich beflügelt. Und seine ist ähnlich spirituell. Den fliegenden Lotus schuf er zuerst auf Papier, Ellison ist gelernter Illustrator. Zum Musiker wurde seine Figur erst später. Sein Albumdebüt „Los Angeles“ hat viel Zug ins All. Flächen berauschen, Synthesizer sedieren Schichten von Ereignissen, die gegeneinander laufen. Es flirrt und flimmert allerorten. Fly-Lo kürzt er sich ab, ein tieffliegender Flyboy. „Los Angeles“ ist Musik, die ihrer eigenen Logik folgt. Von fremden Mächten angezogen, schleppen die Rhythmen einem kosmischen Ziel entgegen.
„Los Angeles“ ist in Schwaden verhülltes Hörkino. Nicht vom Hier und Jetzt erzählt diese Musik, sondern von den apokalyptischen Zukunftsvisionen des frühen John Carpenter. Flying Lotus spielt dazu den kalten, sphärischen Ton.
Dieser wurde auch von Dabrye aus Ann Arbor Michigan geprägt. Da-Brie spricht man ihn aus und eigentlich heißt er Tadd Mullinix. Seit Jahren veröffentlicht er vornehmlich instrumentalen Hiphop, doch schenkt ihm die Hiphop-Kundschaft kaum Beachtung. Daran hat auch sein letztes Album „Two/Three“ nichts geändert, auf dem er mit namhaften Rappern aus dem Untergrund zusammenarbeitet. Vokales wechselt sich da ab mit Instrumentalem. Unter dem Pseudonym James T. Cotton macht Dabrye auch Techno und veröffentlicht seine Platten beim Elektronika-Label Ghostly International. Dabrye verbindet beide Musikrichtungen elegant. Hin und wieder fröstelt es in der Düsternis seiner Musik, die Synapsen tanzen dennoch. Dabryes Musik weist über ihr eigenes Genre hinaus und eins bleibt gewiss: Im Unterbau ist Hiphop noch richtig spannend.
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