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Hinter der Fürsorglichkeit verschanzt

■ Großeltern, die ihre sechsjährige Enkelin vergewaltigt und sexuell mißbraucht haben sollen, werden von einem Psychiater auf ihre Schuldfähigkeit hin begutachtet/ Auch gegenüber Anwälten Schweigen

Berlin. Der Prozeß gegen das Rentnerehepaar Rudolf und Inge L., die beide ihre sechsjährige Enkeltochter Anja sexuell mißbraucht und vergewaltigt haben sollen, ist erneut vertagt worden (siehe auch taz von Montag). Eigentlich waren für gestern Plädoyers und Urteil vorgesehen. Statt dessen forderten die Verteidiger in einem überraschenden Antrag, daß die Angeklagten von einem psychiatrischen Sachverständigen auf ihre Schuldfähigkeit hin untersucht werden sollen.

Wie berichtet bestreiten der 64jährige Rudolf L. und seine 62jährige Frau, die seit einem Schlaganfall gehbehindert ist und in einem Rollstuhl vor Gericht erschien, die Vorwürfe. Nachdem die kleine Anja am ersten Verhandlungstag mit stockenden Worten erzählt hatte, wie ihr Oma und Opa »weh getan« hätten, hatte sich ihre Mutter, die 32jährige Birgt B., dem Gericht am zweiten Prozeßtag offenbart: Auch sie sei im Alter von drei bis acht Jahren von ihrem Vater Rudolf L. vergewaltigt und sexuell mißbraucht worden. Danach habe ihr älterer Bruder bis zu ihrem 12. Lebensjahr weitergemacht. Sie habe das alles verdrängt, so Birgit B. Aber durch das, was ihr Vater Anja angetan habe, sei die Vergangenheit wieder hochgekommen. Nach dieser Aussage, die von Rudolf L. mit unverändert stoischem Gesichtsausdruck und Inge L. mit leisem Kopfschütteln quittiert wurde, hatten die Verteidiger eine Prozeßunterbrechung gefordert.

In ihrem Antrag auf psychiatrische Begutachtung der Angeklagten waren die beiden Anwälte gestern davon überzeugt, daß Rudolf und Inge L. die vorgeworfenen Taten begangen haben. Aufgrund einer »schweren krankhaften Störung«, so die Anwälte, seien die Angeklagten jedoch nicht in der Lage, die Taten »als ihre eigenen anzuerkennen«. Auch gegenüber ihren Verteidigern schwiegen sie dazu, denen gegenüber sie sich — genauso wie auch vor Gericht — als »fürsorgliche, liebevolle Eltern und Großeltern« und »völlig unauffällige Persönlichkeiten« präsentiert hätten. Dieser »Widerspruch«, in dem die Angeklagten seit Jahrzehnten lebten, habe zu einer »schweren psychischen Störung« geführt. Bei Inge L. komme hinzu, daß sie sich aufgrund ihres körperlichen Gebrechens als Frau »subjektiv nicht vollwertig« fühle. Das Gericht gab dem Antrag statt, nachdem beide Angeklagten ihre Zustimmung zu der Begutachtung gegeben hatten. Rudolf L. nickte einmal kurz, Inge L., als wäre sie erleichtert, mehrmals vehement.

Der Prozeß wird Anfang Oktober fortgesetzt. Mit einem Urteil ist nicht vor Mitte bis Ende des Monats zu rechnen. Die Vorwürfe, die Birgit B. gegen ihren Vater und Bruder, einen 38jährigen Bankangestellten, erhob, werden für die beiden kein gerichtliches Nachspiel haben: Sie sind bereits verjährt. plu

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