Hilfe für Obdachlose: Hoffen auf einen milden Winter
Die Berliner Kältehilfe rechnet mit deutlich mehr Obdachlosen. Der Grund: die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt.
Die Berliner Kältehilfe, die im Winter Obdachlosen warme Unterkünfte für die Nacht bietet, rechnet für die kalte Jahreszeit mit so vielen Bedürftigen wie nie zuvor. Es wird befürchtet, dass die Plätze auch in der an diesem Dienstag beginnenden Saison nicht ausreichen könnten. "Schon im letzten Jahr mussten wir wegen der anhaltenden Kälte im Januar um etwa 50 Plätze aufstocken", berichtet Ina Zimmermann, Referentin für Wohnungslosenhilfe beim Diakonischen Werk. Der Grund für die erwarteten hohen Zahlen ist nach Angaben der Kältehilfe vor allem die angespannte Berliner Wohnungssituation.
Die Kältehilfe besteht in Berlin seit 1989. Ein Verbund aus Diakonie, Caritas, Rotem Kreuz und Stadtmission bietet dabei sowohl Notübernachtungen als auch sogenannte Nachtcafés an, in denen es keine Schlafmöglichkeit gibt. Auch Suppenküchen und Wärmestuben für einen vorübergehenden Aufenthalt werden zur Verfügung gestellt. Eine kostenlose Telefon-Hotline informiert die Bedürftigen über freie Plätze. Außerdem gibt es zwei Kältebusse, deren Mitarbeiter Wohnungslose, die es nicht mehr alleine zu einer Unterkunft schaffen, auf Wunsch dorthin fahren und sonst warmen Tee und Schlafsäcke anbieten. Im vergangenen Winter konnten laut Ina Zimmermann im Schnitt pro Nacht 413 Wohnungslose in insgesamt 35 Projekten versorgt werden.
Trotz des erwarteten Anstiegs der Wohnungslosenzahlen fehlen momentan noch 15 Prozent der gewünschten knapp 460 Plätze. Dies liegt laut Kältehilfe daran, dass einzelne im vergangenen Winter genutzt Unterkünfte durch Weitervermietung weggefallen sind, und andere teilweise erst zum Dezember öffnen könnten.
Für den Anstieg an Wohnungslosen, der sich laut Kältehilfe in den nächsten Jahren dramatisch verschärfen wird, sei vor allem die Mietensituation verantwortlich, so Zimmermann. "Da die Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger nicht an den Mietspiegel angepasst werden und die Heizkosten steigen, können sich viele unserer Klienten eine Wohnung nicht mehr leisten." Hier sieht die Kältehilfe das Land und die Bezirke in der Pflicht, den Wohnungsmarkt auch für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger zu öffnen.
Karin Rietz, Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, weist diese Darstellung als zu einfach zurück. Zwar sei die Wohnungssituation in Berlin ein Aspekt, der zu steigenden Obdachlosenzahlen beitrüge. Entscheidend sei aber auch die Mentalität der Betroffenen: "Für viele Menschen, die wohnungslos sind, ist das Teil der Lebensphilosophie", so Rietz. Ein nicht unerheblicher Anteil der Obdachlosen wolle gar keine Wohnung finden und nähme Angebote der Stadt nur in großer Not an. Für Wohnungsfragen sei aber ohnehin die Senatsverwaltung für Stadtentwicklungs zuständig. Bei der zuständigen Pressestelle wurde darauf verwiesen, dass Wohnungslose in den Bereich Soziales fielen. Offenbar hoffen alle Beteiligten auf einen milden Winter. Denn, so Ina Zimmermann: "Wenn's richtig kalt wird, wird's kritisch."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge