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Hildesheim im Zweiten Weltkrieg„Die Bilder des zerstörten Hildesheim ähneln denen aus Gaza“

„Blüte – Zerstörung – Wiederaufbau“: In einer Ausstellung über Hildesheims Zerstörung im Zweiten Weltkrieg lassen sich Parallelen zu heute finden.

Von Kriegsspuren nichts mehr zu sehen: Hildesheimer Altstadt Foto: Moritz Frankenberg/dpa
Friederike Gräff

Interview von

Friederike Gräff

taz: Wie lässt sich die Bombardierung Hildesheims 1945 über eine Videoinstallation im Museum erfahrbar machen, Frau Weiss?

Lara Weiss: Das Publikum sitzt in mehreren Reihen auf verschiedenen Ebenen. Die Videoinstallation findet an drei Leinwänden direkt drumherum statt. Und dadurch befindet man sich wirklich mittendrin. Man sieht seitlich zum Beispiel eine Szene, in der die britischen Piloten auf Hildesheim zufliegen, und links und rechts schaut man aus dem Fenster der Flugzeuge und sieht die Kollegen aus Kanada fliegen. Wenn man nach vorne schaut, sieht man in das Cockpit der Piloten und hört, wie sie sich unterhalten.

taz: Gibt es auch noch andere Perspektiven, aus der die Be­su­che­r:in­nen die Bombardierung erleben?

Weiss: Die Hauptfigur in der Installation ist die Mutter unseres Zeitzeugen Karl Scheide. Deren Perspektive ist zum Teil fiktiv, aber ausführlich recherchiert. In einer Szene flüchtet Karl Scheide mit seiner Mutter Katharina in den Schutzkeller. Und dann wechselt immer die Perspektive zwischen den Piloten, die die Bomben abwerfen, und der Mutter mit ihrem Sohn im Keller. Es gibt Überblendungen mit Bildern der Stadt, aber auch einzelner Häuser vor und nach der Zerstörung. Dadurch werden die Szenen sehr lebendig und auch sehr bewegend.

taz: Dieses emotionale Berühren kann ein schmaler Grad sein. Hatten Sie Sorge, dass es in ein voyeuristisches Spektakel kippt?

Bild: RPM
Im Interview: Lara Weiss

45, ist seit 2023 geschäftsführende Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim.

Weiss: Wir haben uns bemüht, das zu vermeiden, und ich glaube, dass uns das gelungen ist. Die Videoinstallation beginnt mit einem historischen Ausblick auf Hildesheims Geschichte. Wie hat es die Industrialisierung erlebt und wie den Aufstieg der Nationalsozialisten? Zum Beispiel geht Katharina Scheide durch die Stadt und berichtet davon, dass ein jüdischer Mitbürger von den Nazis zusammengeschlagen wurde.

taz: Das heißt, Sie zeigen auch die Perspektive der Opfer des Regimes?

Weiss: Auf jeden Fall. Man kann 80 Jahre nach Kriegsende nicht hingehen und sagen, wie schade, dass unsere schöne Altstadt kaputtgegangen ist, ohne das Leid der von den Nazis Verfolgten zu zeigen. Deswegen sieht man, wie Menschen zur Deportation abgeholt werden. Man sieht auch, wie Hitler durch die Stadt fährt oder die An­hän­ge­r:in­nen des Regimes, die nicht glücklich über die Befreiung waren, sondern sich fragten, was unter den Alliierten aus ihnen werden wird. Diese Multiperspektivität war uns wichtig.

taz: Ein Anliegen der Ausstellung war es, gerade auch jüngere Menschen für das Thema zu interessieren. Ist das gelungen?

Ausstellung

„Hildesheim: Blüte-Zerstörung-Wiederaufbau“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim, Abschiedsführung am 23.12. um 15 Uhr.

Weiss: Es waren sehr viele Schulklassen hier und es gab sehr gute Gespräche zwischen ihnen und den Museumspädagog:innen. Ich denke, es ist wichtig, gerade mit Kindern und Jugendlichen zu reflektieren, warum Krieg schrecklich ist und nicht wieder passieren darf. Ihnen kommt der Zweite Weltkrieg oft unglaublich weit weg vor. Und gleichzeitig gibt es in vielen Klassen durchaus Kinder mit Flucht- oder Kriegserfahrung. Wenn man die Bilder vom zerstörten Hildesheim sieht, ähnelt sie in manchem denen aus Gaza. Ich glaube, wir haben eine gute Balance gefunden, um diese Themen auch für diese Kinder besprechbar zu machen.

taz: Gab es etwas, was die Jugendlichen besonders beschäftigt hat?

Weiss: Sie fanden die Judenverfolgung schrecklich. Sie meinten: „Das waren doch wichtige Bürger der Stadt, die sich für alles Mögliche eingesetzt haben.“

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