Hick und Hack: Versetzung aus variablem Grund
Auf den Protest Bremerhavener SchülerInnen gegen die Versetzung ihres Lehrers reagiert das städtische Schulamt: Es deutet die Maßnahme nun als eine Strafe.
Das neue Schuljahr an der Bremerhavener Schule am Ernst-Reuter-Platz beginnt so unruhig, wie das alte zu Ende gegangen war: Nachdem NeuntklässlerInnen Ende Juni das Schulfest gesprengt hatten, um gegen die Versetzung ihres Klassenlehrers Michael Kastner ausgerechnet in ihrem Abschluss-Jahr zu protestieren (taz berichtete), drohen betroffene Eltern nun damit, ihre Kinder von der Schule zu nehmen. Sie fühlen sich übergangen in einem Streit zwischen Schulleitung und dem Lehrer, den ihre Kinder unbedingt behalten wollen. Auch Kastner selbst prüft nun, wie er gegen seine Versetzung vorgehen kann.
Gegen die hat er persönlich eigentlich nichts: Die Humboldt-Schule, an der er zukünftig unterrichten soll, kennt er gut. Dort hat er sein Referendariat absolviert, „und mit der Schulleitung komme ich sehr gut aus“. Das verhält sich an seiner jetzigen Schule anders.
Vor einem Jahr, als der alte Schulleiter und heutige Bremerhavener Schuldezernent Michael Frost ging und die neue Leiterin Nicole Wind kam, wollte Kastner sogar freiwillig die Oberschule verlassen: „Ich hab zu Frost gesagt: Wenn Du gehst, dann geh’ ich auch, weil ich mit der Wind nicht auskomme – und dann habe ich mich doch überreden lassen, zu bleiben“, erzählt er.
Aber seitdem herrschte Kleinkrieg zwischen ihm und Nicole Wind: „Ich soll Zeugnisse fehlerhaft ausgestellt haben oder irgendwie falsch unterrichten – dabei hat sie von Naturwissenschaften keine Ahnung.“ Er mache nicht mehr und nicht weniger Fehler als seine KollegInnen, „aber einen Kieker hatte sie immer nur auf mich.“ Freitagnachmittags hat Kastner regelmäßig mit seinen SchülerInnen gegrillt, „irgendwann wollte die Schulleitung, dass ich das jedes Mal fünf Tage im Voraus schriftlich anmelde“.
Kastner ist keiner, der sich stillschweigend fügt. Als „Raubein“ bezeichnet er sich selbst, „oft ziemlich holterdiepolter.“ Mit seiner Art könne nicht jeder –am wenigsten wohl seine Schulleiterin. Die SchülerInnen aber schon: Sie wollen ihren Lehrer zurück, mobilisierten ihre Eltern und forderten Stellungnahmen von Wind und vom Schulrat Jörg Tönißen. Lediglich Dezernent Frost war bereit, mit ihnen zu sprechen. Er sagte, Kastner werde wegen Personalmangels versetzt. So etwas komme vor. Dagegen könne man nichts machen. Auch gegenüber der taz wiederholte er Anfang Juli diese Darstellung: „Es gibt nur eine einzige Begründung für die Versetzung: Die eine Schule hat Lehrerüberhang, die andere -mangel.“
Kastner und auch die SchülerInnen und Eltern bezweifelten das. Der Schulleiter der Humboldt-Schule habe laut losgelacht, erzählte Kastner, als er davon erfuhr: Trotz angeblichen Personalmangels stehe dort nämlich ebenfalls ein Mathe-Lehrer vor der Versetzung. „Mittlerweile weiß ich“, sagt Kastner, „dass die Humboldt-Schule sogar einen Überhang von 17 Stunden hat – eigentlich hat man dort gar keine Arbeit für mich.“
Nach dem erfolglosen Versuch, die Versetzung Kastners zu verhindern oder wenigsten um ein Jahr zu verschieben, schalteten Eltern und SchülerInnen die Nordsee-Zeitung und die taz ein. Kastner legte beim Personalrat und Schulamt schriftlich Widerspruch gegen seine Versetzung ein: „Das habe ich wegen der Kinder gemacht“, sagt er. „Ich möchte ja bloß noch ihr letztes Schuljahr begleiten und dann würde ich auch freiwillig gehen.“
Aber: Plötzlich bestätigte das Schulamt, was es zuvor bestritten hatte. Kastner wurde schriftlich mitgeteilt, dass es sich tatsächlich um eine Strafversetzung handele. Unter anderem wird seine Notengebung moniert. „Die angeblich falschen Zeugnisnoten sind allerdings bis heute nicht korrigiert“, so Kastner. Außerdem habe er einen Auflagenkatalog erhalten: „Ich muss an der neuen Schule zum Beispiel alle Arbeiten drei Tage vorher dem Schulleiter vorlegen oder alle außerschulischen Veranstaltungen fünf Tage vorher anmelden – das ist absolut lächerlich, abgesehen davon, dass ich mich frage, warum man es mit einem solchen Katalog nicht an der Schule versucht, wo ich bereits bin.“ Zumal sein zukünftiger Schulleiter ebenfalls nicht begeistert sei von den Auflagen, die ja auch ihn betreffen.
Kastner lässt nun durch einen Anwalt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe prüfen, hat aber wenig Hoffnung auf ein Einlenken seitens der Schulleiterin: „Ich wäre“, sagt er, „durchaus kompromissbereit und werde auch noch einmal das Gespräch mit Frau Wind suchen – bislang war sie dafür aber alles andere als offen.“
Das gilt auch für ihre Reaktion auf die Nachfragen der taz.bremen: „Ich kann“, sagt sie, „gar nichts dazu sagen, denn die Versetzung geht zurück auf eine Entscheidung des Schulamts.“
Und was sagt sie zu den Vorwürfen, auf denen die Versetzung ja schließlich basiert? „Bitte sprechen Sie darüber“, entgegnet sie, „mit Herrn Frost vom Schulamt.“ Also mit demjenigen, der vor vier Wochen noch von Lehrermangel- und überhang gesprochen hatte – und für die taz mittlerweile genauso wenig erreichbar ist wie Schulrat Tönißen.
„Die haben gedacht, dass ich mich freue, wenn ich an die Humboldt-Schule komme und die Versetzung deswegen still und leise über die Bühne gehen kann“, sagt Kastner. „Sie hatten damit ja auch Recht. Sie haben aber nicht damit gerechnet, dass hier ein Schüleraufstand losbricht – ich im Übrigen auch nicht.“ Viele SchülerInnen hätten ihn auch in den vergangenen Ferienwochen angerufen: „Da hat man dann schon einen Kloß im Hals.“
Saban Buric, Elternsprecher und Vater einer der 40 SchülerInnen Kastners, fühlt sich übergangen: „Die Bildungsbehörde fordert Eltern auf, sich in den Schulalltag ihrer Kinder einzumischen. Das wollen wir tun, aber wie soll das gehen, wenn die Schulleitung nicht mit uns sprechen will?“ Gleichwohl will er es noch einmal versuchen, im Namen aller Eltern, die sich am vergangenen Freitag wegen der „Causa Kastner“ versammelt haben.
Am heutigen Montag wollen sowohl sie als auch die SchülervertreterInnen zum letzten Mal das Gespräch mit Nicole Wind und Schulrat Tönißen suchen. „Sollten wir wieder abgewiesen werden, überlegen einige von uns, unsere Kinder von dieser Schule zu nehmen“, sagt Buric. Und auch die SchülerInnen wollen nicht zum gewohnten Schul-Alltag zurückkehren – zumindest nicht ohne ihren Klassenlehrer Michael Kastner.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen