Hexenmalerei in Brügge: Eine Erfindung der klerikalen Eliten
Das belgische Mittelalterstädtchen Brügge widmet sich der Hexenmalerei – mit der Kunst von Pieter Breugel dem Älteren und Kollegen.
Eine bucklige Frau, dürr und hässlich, krumme Nase, wehendes Haar. Gern reitet sie bei Vollmond, manchmal barbusig, auf einem Besen, flankiert von allerlei düsterem Getier: schwarzer Katze, Fledermaus, Monstergestalten oder gleich Luzifer. Fertig ist unser Hexenbild.
Es ist dies auch die Zutatenliste für ein Hexengemälde. Die beiden ersten Bilder mit all diesen Nuancen stammen vom flämischen Meister Pieter Bruegel dem Älteren. 1565 machte Bruegel damit die böse Frau für alle schlagartig sichtbar. Und: Er setzte die Hexe als Erster jenseits von kaum gelesenen Lehrbüchern auf einen Besen.
Seine beiden Wimmelbilder des Bösen und viele andere zeitgenössische Werke von Kollegen wie David Tenniers und Frans Francken sind jetzt in der Ausstellung „Die Hexen des Bruegel“ im ehemaligen Sint-Janshospitaal im belgischen Brügge zu sehen. Düster ist es in den Speicherräumen des alten Krankenhauses, in dem es „kaum eine Medizin gab, sondern nur das Beten half“.
Am Eingang bekommen Besucher eine E-Kerze in die Hand. Schauderlich ist die Welt von Bruegels Drucken und Dutzenden anderen Bildern flämischer und niederländischer Meister, dazu viele Infos über die Geschichte der üblen Nachrede, Denunziation, Folter und den Feuertod auf dem Scheiterhaufen.
Die Motive gehen am Ende in einem kleinen Hexenappendix nahtlos bis ins Heute: zu ersten ironischen Hexenbildern im 18. Jahrhundert in England, zu Darstellungen in Comics, Filmen, Märchen. Hexen standen bald nicht mehr für die reale Gefahr, sondern waren zur Gruselgestalt geworden oder dienten der Belustigung.
Hexen-Ausstellung: „De Heksen van Bruegel“, mit Sonderaktionen zur Walpurgisnacht, Kinderaktivitäten und nächtlichen Spaziergängen, Sint-Jans-Spitals, Mariastraat 38, bis 26. 6.: www.museabrugge.be
Foltermuseum: Wollestraat 29, www.torturemuseum.be
Infos: visitbrugge.be
Oder für Doppeldeutigkeiten: Der Hexenkessel, in dem Satan seine Hexen Zaubersäfte brauen ließ, hat heute nur noch in der Fußballsprache eine Restbedeutung. Im Europa des späten16. Jahrhunderts hatte gerade die kleine Eiszeit begonnen – mit Hagelstürmen, heftigen Wintern, Ernteausfällen, Hungersnöten. „Vögel sind wie Steine vom Himmel gefallen“, heißt es in einer zeitgenössischen Schrift, „und man sah Menschen, die auf Wiesen grasten.“ Das musste Teufelswerk sein – ausgeführt von seinen Gehilfinnen, den Hexen.
Alles nur pure Vorstellungen
Die Zeit der Massenhysterie begann. Brügge hatte zudem gerade seine Blütezeit als Handelsmetropole hinter sich, Antwerpen nebenan boomte. Und während dort nur wenige Hexenprozesse belegt sind, gab es in Brügge mehr als hundert dokumentierte Verbrennungen. Die verteufelten Frauen waren schuld an Hunger, Unfruchtbarkeit, Kindstod, Impotenz, dem falschen Wetter, Zwistigkeiten. Verhext halt.
Grundlage der atemberaubenden Ausstellung ist die Doktorarbeit der niederländischen Kunsthistorikerin Renilde Vervoort. „Niemand hatte je eine Hexe gesehen“, erläutert sie bei der Eröffnung Ende Februar, „alles war pure Vorstellung. Es gab sie ja auch nicht.“ Und plötzlich waren die Bilder da. Böse Frauen. Der Satan.
„Hexen waren Erfindungen der klerikalen Eliten, die Sinnbilder brauchten für die Arbeit des Satans. Bald glaubte man sogar, Hexen haben Sex mit dem Teufel.“ Vervoort ist sicher: „Die Künstler damals haben unser Hexenbild geschaffen und sind der Schlüssel zum Hexenverständnis.“
Bruegel, der Helfershelfer
Bruegel gab dem Aberglauben als Pionier eine augenfällige Vorstellung. So wurde er, wohl unfreiwillig, zum Helfershelfer der geschmeidigen Koalition aus kirchlichen und weltlichen Hetzern.
Die Hexenhistorikerin erzählt, sie habe seit den 90er Jahren „immer neue Bildnisse“ über den Wahn um die bösen Frauen gefunden. „Immer mehr, es war wie eine Explosion. Und niemand hatte je mit System darüber geforscht. Da hab ich mir gesagt: Dann mach ich das.“
Bald, so Vervoort, wurden Verbrennungen „zu einer Art Mode“. Etwa 50.000 Opfer waren es in Europa. Deutschland, so erklärt eine Schautafel, hält mit 20.000 Frauen den Europarekord. Schon Frauen ohne Hexenverdacht, hieß es im Gelehrtenbuch Hexenhammer (lat.: Malleus Maleficarum) des Dominikaners Heinrich Kramer, seien „begehrenswerte Katastrophen“. Und steckt nicht in femina mit -mina ein Minus, also minderwertig?
Das heute so prachtvolle mittelalterliche Brügge hat immer noch mehr Pflastersteine als TouristInnen (über fünf Millionen im Jahr), keine Satellitenschüsseln, wenig Reklamezumutungen im Stadtbild. Die vielen hexenhaften Hutzelhäuschen, nur zum Teil aufgehübscht, dienen dazu, den wenigen Raum zwischen den zahllosen Kirchen, Schokolademanufakturen und Museen auszufüllen.
Eines der Museen, in den Kellergewölben eines ehemaligen Gefängnisses untergebracht, widmet sich der Folter. Hier sieht man, wie man vor 500 Jahren aus Hexen und anderen unbotmäßigen Menschen Geständnisse herauspresste – mit Schädelpressen, Rattenkesseln, Daumenschrauben, glühenden Knochenbrechern und allerlei mehr mittelalterlichem Sadistenwerkzeug.
Stundenlange Folter
Schon Alltagsstreit konnte Hexenprozesse auslösen. In der Bruegel-Schau wird eine Frau gefesselt durch die Stadt zum Pranger getragen. Es ist die Brüggerin Maycken Karrebrouck. Eine Nachbarin hatte sie angezeigt, weil ihre Tochter epileptische Anfälle hatte. Fünf Stunden Folter und die geifernde Gaudi der Gaffer hielt die Beschuldigte durch. Dann gab sie zu, eine Hexe zu sein – und kam auf den Scheiterhaufen. Von Verbrennungen selbst gibt es fast keine Bilder. „Warum, weiß man nicht“, sagt Kunsthistorikerin Vervoort.
Billige Mythen, Angst vor dem Fremden, vor Außenseitern, die Suche nach Sündenböcken – man kennt das bis heute. Über die Bedeutung der Hexen des Pieter Bruegel mit ihren Besen sagt Relinde Vervoort: „Tja, die konnten also fliegen! Was für eine Waffe, welche Macht. Dagegen ist der IS als unser Feind heute nichts.“
Und wo passierte das alles in Brügge? Ein Spaziergang an Orte von öffentlicher Folter und Verbrennungen sollte aufklären. Doch die Frau vom Touristenbüro muss kurzfristig passen. „Ich kann kaum laufen“, sagt sie, „der Rücken …“ Diagnose: Hexenschuss. Sie sind also doch noch unter uns.
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