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Archiv-Artikel

„Heute ist niemand mehr für ein Verbot!“

Der Spielsucht-Experte Gerhard Meyer fordert, dass der Staat seinen Präventionsauftrag beim Glücksspiel ernst nimmt. Dafür müsse er sich aber nicht nur um das Lottospiel, sondern auch um Glücksspielautomaten kümmern

Von bes

taz: Herr Meyer, Ihre Forschungen haben für erhebliche gesetzliche Bewegungen in Sachen Glücksspiel gesorgt. Sind Sie zufrieden?

Gerhard Meyer: Was im Entwurf des Lotto-Staatsvertrags enthalten ist, kann ich befürworten. Was aber leider nicht einbezogen werden konnte, ist die Frage der Geldspielautomaten. Die liegt in Bundeskompetenz. Das ist allerdings der Bereich, aus dem die große Mehrheit der süchtigen Spieler kommt.

Der Staatsvertrag betrifft Lotto, wo Spielsucht kaum auftritt, Sportwetten, wo es Probleme gibt …

…und wo wir eine steigende Anzahl von Betroffenen in den Beratungsstellen registrieren ...

... aber die Spielautomaten betrifft er nicht?

Ja. Der Bund hat gleichsam in letzter Minute vor dem Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine neue Verordnung verabschiedet, die diese Geldspielautomaten noch näher in den Bereich des klassischen Casino-Spiels rückt.

Macht das nicht die staatlichen Bemühungen um Suchtprävention unglaubwürdig?

Es ist so, dass der Staat bis zu diesem Urteil, der Aufgabe, die mit dem Monopol verbunden ist, nicht gerecht geworden ist – nämlich der Aufgabe, die Spieler vor den Gefahren der Spielsucht zu schützen. Ich fordere das schon seit 20 Jahren. Was jetzt unternommen wird, geht aber in die richtige Richtung.

Das Monopol heißt also, ein Angebot machen, um die Nachfrage zu bremsen?

Wir brauchen legale Angebote: Heute ist niemand mehr für ein Verbot! Aber die Alternative zum Monopol wäre, den Markt freizugeben. Dass börsennotierte Unternehmen wie Bwin ihren Aktionären Umsatzeinbußen schmackhaft machen, weil der Spielerschutz künftig ernst genommen wird – das passt nicht zusammen. Da geht es doch in erster Linie um die Umsatzzahlen, die müssen stimmen.

Das Suchtpotenzial ...

… hängt von der Ereignisfrequenz ab: Je schneller das nächste Spiel möglich ist, desto größer ist die Gefahr. Zu den harten Glücksspielformen gehören deshalb die Angebote der Spielbanken, die Automatenspiele und auch die Sportwetten, wie sie im Internet angeboten werden. Bwin wirbt beispielsweise damit, dass man auf bis zu 8.000 Sportereignisse pro Tag wetten kann.

Nun hätte man angenommen, dass Spielsucht eher ein Randphänomen ist. Wie groß ist die Bedeutung? Gibt es da belastbare Zahlen?

Es gibt eine Studie, die kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz veröffentlicht worden ist …

von ihrem Bremer Kollegen Heinrich Stöver …

Die repräsentative Umfrage hat ergeben, dass 0,5 Prozent der 18-65-Jährigen als spielsüchtig zu diagnostizieren sind. Das wäre gleichbedeutend mit einer Größenordnung von rund 265.000 Bundesbürgern. Das ist erstmals eine harte Zahl für Deutschland. Außerdem haben die Kollegen ermittelt, dass acht Prozent derer, die an Geldspielautomaten gespielt haben, als süchtig einzustufen sind. Und nur 0,3 Prozent der Lottospieler.

Stärkt dann nicht ein Anziehen des staatlichen Monopols bei weichen Formen die wirklich gefährlichen?

Wir brauchen ein abgestuftes Vorgehen für die verschiedenen Spielformen, je nach Suchtpotenzial. Aber um nur ein Beispiel bezogen auf weiche Spielformen zu nennen: Dieser Lotto-Jackpot von 37,6 Millionen – was da für eine Hysterie in der Bevölkerung zu verzeichnen war! Das fördert natürlich eine Glücksspielmentalität: Man strebt seinen Wohlstand über Gewinne beim Spiel an, statt über die Arbeit. Diese Einstellung ebnet den Weg in andere Glücksspiel-Bereiche.

So etwas dürfte es künftig ja nur mit dem Hinweis geben: Ihre Gewinnchance beträgt 1 zu 140 Millionen.

Stimmt: Die Werbung soll künftig informieren. Und darf keinen Aufforderungscharakter haben. Dazu könnte eben auch die Angabe gehören, dass es viel wahrscheinlicher ist, vom Blitz erschlagen zu werden als den Jackpot zu gewinnen. Interview: bes