Heute in Bremen: „Ohne Fakten geht es nicht“
Vortrag In der Zentralbibliothek spricht Rolf Prigge über Strategien gegen die AfD
66, war Sozialwissenschaftler und Forschungsleiter beim Institut für Arbeit und Wirtschaft in Bremen. Sein Forschungsschwerpunkt: soziale Stadtentwicklung.
taz: Herr Prigge, „Die AfD ist überall“ klingt ein bisschen nach Zombieapokalypse. Müssen wir Angst haben?
Rolf Prigge: Ich habe keine Angst. Mit dem Titel wollte ich sagen, dass sich der Rechtspopulismus durch die Gesellschaft frisst. Das betrifft alle. Es bringt nichts, das Problem totzuschweigen. Die Auseinandersetzung mit der AfD bietet sogar die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Veränderung. Insgesamt bin ich eher optimistisch: Auf Bundesebene und in Bremen wird nun sogar über rot-rotgrüne Koalitionen diskutiert.
Wie soll die Auseinandersetzung mit der AfD funktionieren, wenn wir doch in postfaktischen Zeiten leben?
Einige behaupten das neuerdings, aber ohne Fakten geht es nicht: Eine inhaltlich ertragreiche Diskussion kann nur auf Grundlage von Fakten funktionieren.
Aber warum kann die AfD trotzdem Wahlerfolge feiern?
Das Erstarken des Rechtspopulismus liegt zum Großteil daran, dass sich bestimmte soziale Schichten ausgegrenzt fühlen. Die innere Distanz zu Gesellschaft und Politik ist gewachsen. Das lässt sich auch in Bremen beobachten: Vergleichen Sie mal Gröpelingen und Blumethal mit Oberneuland oder Schwachhausen. Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft hat gelitten. Reichtum und Armut haben zugenommen. In der Mittelschicht bröckelt es. Das ist der Boden für die AfD.
In Bremen hat die AfD 2015 fünfeinhalb Prozent bekommen. Seitdem fällt sie nur durch innere Konflikte auf. Trotzdem sinken ihre Umfragewerte nicht. Warum?
Bei den vergangenen fünf Landtagswahlen ist die AfD von 60 bis 70 Prozent ihrer Wähler nur aus Protest gewählt worden. Die etablierten Parteien haben mit ihrer neoliberalen Politik die Agenda 2010 und die Finanzmarkt- und Bankenkrise erst ermöglicht. Diese unsoziale Politik hat ganze Bevölkerungsteile ausgegrenzt. Hinzu kommt die Internationalisierung von Wirtschaft und Politik. Die Öffnung von Grenzen kann viele Menschen verunsichern und manchmal auch überfordern.
Wie sollten die Parlamente damit umgehen?
Wenn man den Siegeszug der AfD verhindern will, muss die Politik der Parteien sozialer werden. Wenn Milliarden für die Bankenrettung ausgegeben werden und Reiche weniger Steuern zahlen, soll kein Geld für den Sozialstaat da sein? Die etablierten Parteien haben in der sozialen Frage bisher versagt. Denken Sie nur an die Armut, die fehlenden Kitaplätze und die Schulen in Bremen.
Wie sollte man der AfD gegenüber auftreten?
Wir müssen liberale, zivilisatorische Errungenschaften wie die Grundrechte und die Medien gegenüber der AfD verteidigen.
Interview: Gareth Joswig
17 Uhr, Zentralbibliothek
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen