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■ Heute gehen die Verhandlungen über die Stiftungsinitiative zur Entschädigung von Zwangsarbeitern in die entscheidende Runde. Der Hohenheimer Wirtschaftshistoriker Mark Spoerer fürchtet, dass mit der Verabschiedung des Fonds ein Schlussstrich gezogen werden soll„Letztlich geht es nur um den Export“

Mark Spoerer (36) ist Wirtschaftshistoriker an der Universität Hohenheim und zur Zeit Gutachter für die österreichische Regierung zum Thema Zwangsarbeiter. Spoerer hat u.a. zu Zwangsarbeit bei Daimler-Benz geforscht und ist Autor der Studie „Von Scheingewinnen zum Rüstungsboom: die Eigenkapitalrentabilität der deutschen Industrieaktiengesellschaften 1925 – 1941“. Mit ihm sprach Markus Götte.

taz: Zwangsarbeiter sollen, je nachdem wo sie gearbeitet haben, unterschiedlich hohe Entschädigungszahlungen erhalten. Ist es aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt möglich, das Leid zu klassifizieren?

Mark Spoerer: Im Prinzip ist eine Klassifizierung des Leids möglich. Ein Kriterium wäre die Verringerung der Überlebenschancen während der Zwangsarbeit. Die KZ-Häftlinge stehen dabei auf der untersten Stufe, dann kommen die sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Mitlitärinternierten, die ebenfalls sehr hohe Todesraten verzeichneten, gefolgt von den Zivilarbeitern aus der Sowjetunion und Polen. Besser wird es dann für Tschechen, Franzosen, Holländer und Belgier. Wenn man das Glück hatte, Holländer oder Skandinavier zu sein und dazu noch blond und blauäugig war, wurde man oftmals kaum schlechter als Deutsche behandelt.

Die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft sollen nicht eigens entschädigt werden. Waren deren Lebensbedingungen so viel besser als die in der Industrie?

Wenn Graf Lambsdorff sagt, es ging den Polen in der Landwirtschaft ganz gut, dann ist das falsch. Es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob ich vor dem Krieg freiwillig nach Pommern gekommen bin oder ob ich von deutschen Soldaten auf einen Lkw verfrachtet werde und dann in der deutschen Landwirtschaft arbeiten muss. Im Einzelfall kann es in der Landwirtschaft natürlich auch grauenhaft gewesen sein, bis hin zu Vergewaltigungen. Gerade auf dem Land ist alles Mögliche vorgekommen, auch dass junge Zwangsarbeiter wie Familienmitglieder behandelt wurden. Im Prinzip ist es also schon so, dass die Leute in der Industrie ein härteres Los hatten.

Es wird immer wieder die Zahl von 2.000 Betrieben genannt, die von Zwangsarbeit profitiert haben. Stimmt diese Zahl?

Es waren mehrere tausend. Jedes Unternehmen des produzierenden Gewerbes, das 1944 noch in Betrieb war, hat Ausländer eingesetzt. Nur bei Betrieben unter 200 Beschäftigten mag es mal Ausnahmen gegeben haben.

Hatten die Betriebe gar keine andere Wahl?

Viele Unternehmen konkurrierten aktiv um die Zuteilung von Zwangsarbeitern. Ich würde allerdings vermuten, dass man als Unternehmer irgendwann nicht drum herum kam, die Arbeitsplätze an den Maschinen mit Zwangsarbeitern zu besetzen. Wenn man eine Werkshalle leer gelassen hätte, wäre erst das Rüstungskommando und nachher die Gestapo gekommen und hätte gefragt, warum forderst du keine Arbeiter an? Aus diesem Grund halte ich auch die ganze Diskussion für mindestens unglücklich, denn es wird immer so eine Art Kollektivschuldthese unterstellt. Aus der Tatsache, dass ein Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigt hat, zwingend zu schließen, dass es profitgierig gewesen sein muss, erscheint mir voreilig. Selbst wenn das Unternehmen anders gewollt hätte, hatte es wohl 1944 keine andere Wahl mehr. Die Alternative bestand ja darin, den Laden dichtzumachen oder das Werk vom Konkurrenten aufkaufen zu lassen.

Da sind die Unternehmen ja fein raus, der NS-Staat und die Kommandowirtschaft waren allein schuldig.

Nein, wieso? Die eben geschilderte Zwangslage stellte sich nur für Unternehmen, die sozusagen sauber bleiben wollten. Wir wissen ja aus vielen Fallstudien, dass gerade große Unternehmen mit anonymen Entscheidungsstrukturen diese Skrupel gar nicht hatten. Nur erscheint es mir unplausibel, dass wirklich alle deutschen Unternehmer skrupellos gewesen sein sollen. So oberflächlich, wie die Diskussion momentan geführt wird, lädt sie geradezu dazu ein, dass Unternehmen sich hinter dieser naiven Kollektivschuldthese verstecken und sagen: „Wir werden hier völlig haltlos angegriffen, alle Unternehmen hatten Ausländer, es können doch nicht alle Unternehmen böse gewesen sein, und folglich waren wir es auch nicht.“ Viel wichtiger finde ich, wie die Zwangsarbeiter konkret behandelt wurden.

Und bei der Sklavenarbeit von KZ-Häftlingen?

Sicher, bei der Anforderung von KZ-Häftlingen war das anders. Das waren oft Unternehmen, die im Krieg konsequent auf Rüstung setzten, und die forderten dann auch skrupellos KZ-Häftlinge an. Dass Unternehmen KZ-Häftlinge aufgezwungen wurden oder sie sie aus Sachzwängen heraus anfordern mussten, ist eher die Ausnahme. Ich sehe in der Frage der Verantwortung einen Unterschied zum Einsatz von zivilen Ausländern und Kriegsgefangenen.

Befürchten sie, dass mit dem Abschluss des Fonds das Thema vom Tisch ist?

Ja. Wenn die Regelung da ist, ist das Thema Zwangsarbeit tot, dann interessiert sich kein Mensch mehr dafür. Den Unternehmen geht es letztlich allein um den Export in die USA. Darum wird man die Deutsche Bahn AG, die im Krieg mehr als eine Viertelmillion Ausländer einsetzte, nicht dazu bekommen, in den Fonds reinzugehen. Deswegen werden Sie in der Stiftungsinitiative letztlich auch nur exportorientierte Unternehmen finden.

Gibt es eine Möglichkeit, die Höhe der Entschädigungsforderungen zu objektivieren? Entgangener Lohn bzw. Profit durch Zwangsarbeit?

Das ist viel zu schwierig. Erst mal müsste man wissen, wie lange jemand wo gearbeitet und wie viel Lohn er bekommen hat. Die Zwangsarbeiter haben ja Lohn bekommen, wenn sie nicht gerade KZ-Häftlinge waren, aber eben „Ostarbeiter“ deutlich weniger. „Westarbeiter“ haben das normale Gehalt bekommen. Wie viel das Unternehmen dann verdient hat, ist eine ganz andere Frage. Die Industrie hat grundsätzlich gut an Rüstungsaufträgen verdient. Ob sie nun mehr verdient hat mit dem Einsatz deutscher oder ausländischer Arbeiter, das ist sehr schwierig zu beurteilen.

Also keine konkreten Zahlen für den Profit durch Zwangsarbeit?

Es ist Unfug, bei Gewinn oder entgangenen Lohnzahlungen mit konkreten Zahlen zu operieren. Heute sollte es bei der Entschädigung um andere Dinge gehen, um die Demütigungen, die Angst, um Geld für die medizinische Behandlung physischer oder psychischer Folgeschäden. Der typische Entschädigungsberechtigte wird eine polnische oder ukrainische Großmutter sein, für die anspruchsvolle medizinische Leistungen unerschwinglich sind. Wie hoch die Kompensation aussehen soll, ist eine rein politische Frage.

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