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Heute braucht man für alles einen Senator

■ betr.: „Terroranschläge aus der Spraydose“, taz vom 17.1.95

Sehr geehrter Herr Innensenator Heckelmann!

Ich habe zu meiner Freude aus der Zeitung entnommen, daß Sie zusammen mit einigen unserer tüchtigen Politiker wieder mutig einen der großen Mißstände in unserer Stadt in Angriff genommen haben: Die Schmierereien an Häusern und sonstigen Wänden, mit denen diese gewalttätigen Jugendlichen unser schönes Berlin kaputtmachen wollen, gerade jetzt, wo wir wieder Hauptstadt geworden sind! So was hat es in meiner Jugend nicht gegeben, wo wir ja auch Hauptstadt waren, und wenn wir inzwischen auch wissen, daß nicht alles schön war damals, so hat doch wenigstens Ordnung geherrscht auf den Straßen, und wenn wir Kinder was mit Kreide an die Wand gemalt haben, gab's gleich was auf die Finger, da brauchten wir keinen Senator dafür. Aber die Zeiten haben sich eben geändert, und besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen, wie es so schön heißt.

Dieses Hütchenspiel haben wir früher übrigens auch immer gespielt, aber wir waren natürlich nicht gewalttätig und haben den Leuten keine Hundertmarkscheine aus der Tasche gezogen, bloß ganz besonders doofen anderen Kindern das Taschengeld. Dafür gab's dann manchmal von irgendwelchen großen Brüdern eine geklebt, auch ganz ohne Senator. Aber die Zeiten haben sich eben geändert... Besser gleich hart durchgreifen! Wehret den Anfängen!

Könnten Sie in diesem Sinne nicht auch was gegen diese Radfahrer unternehmen, die immer ohne Licht fahren und bei Rot über die Kreuzung und die Autofahrer behindern, die so wichtig sind für unsere Metropole? Es geht doch nicht, daß man sich einfach über Regeln und Gesetze hinwegsetzt, das sind doch Terroristen! Dafür sind Sie doch auch zuständig?

Und die Hundebesitzer, die sind doch inzwischen auch kriminell, wo es ausdrücklich verordnet wurde, daß sie die Hinterlassenschaft ihrer Vierbeiner beseitigen müssen, und immer noch liegt die Scheiße überall rum und man rutscht ständig aus! Ich weiß wirklich nicht, was mit den Menschen heutzutage los ist, früher hat sich so was keiner getraut, und heute braucht man für alles einen Senator. Wie gut, daß wir Sie haben! Sigrid Wiegand, Friedenau

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