: Heute Grünau, morgen Niš?
Zoran P. soll am Mittwoch ins Flugzeug Richtung Serbien. Nach dem ersten Abschiebeversuch hatte der Roma im Polizeigewahrsam Köpenick eine Rasierklinge verschluckt. Jetzt hat er eine Einzelzelle
von HEIKE KLEFFNER
„Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass wir eine Lösung für diese Leute haben. Das Einzige, was wir tun können, ist, die Abschiebung hinauszuzögern.“
Rasim Ljajić, Minister für ethnische Minderheiten in Serbien und Montenegro, im Januar 2003 bei einer Pressekonferenz mit der Union der Roma-Vereinigungen von Vojvodina zur Frage der Wiederaufnahme aus Deutschland abgeschobener Roma
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„Wir können für diese Leute nichts tun. Die erzwungene Rückkehr von Roma ist eine tickende gesellschaftliche Zeitbombe. So, als wenn jemand Benzin ins brennende Feuer gießt.“
Dr. Sanda Rasković-Ivić, Flüchtlingskommissarin der serbischen Regierung, zur PDS-Abgeordneten Karin Hopfmann im Dezember 2002
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Die Narben liegen dicht nebeneinander. Die weißen Striche legen ein Streifenmuster auf die Innenseiten der Unterarme von Zoran P. – bis hoch zum Ellenbogen. Die wenigen Zentimeter unverletzter Haut kann die Besucherin nicht berühren, denn die Trennscheibe in der Besucherzelle des Abschiebegefängnisses Berlin-Grünau verhindert jeden direkten Kontakt zu dem 31-jährigen Roma aus Serbien. „Die Narben sind alt“, sagt Zoran P. „Aus der Zeit, als ich in Niš auf der Straße gelebt habe.“ Geht es nach der Berliner Ausländerbehörde, wird Zoran P. morgen dahin zurückkehren. Für den verheirateten Vater einer dreijährigen Tochter wäre es der zweite Abschiebeversuch innerhalb von einem Monat.
Am 19. Februar hatte sich ein Pilot geweigert, den an Hepatitis C erkrankten Mann nach Belgrad mitzunehmen. Vier Tage später griff Zoran P. in seiner Verzweiflung „zum letzten Mittel, das mir blieb“. Er verschluckte eine Rasierklinge. Ein unabhängiger Arzt, der ihn am Tag danach im Abschiebegewahrsam untersuchen konnte, bescheinigte, als Straßenkind habe Zoran P. als Jugendlicher mehrfach „existenziell bedrohliche Gewalterfahrungen gemacht“ und er habe „von wiederholten Suizidversuchen in jugendlichem Alter berichtet, so dass insgesamt zumindest von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen werden muss“. Eine Diagnose, die auch von der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhaus Hedwigshöhe, wo Zoran P. kurzfristig aufgenommen wurde, geteilt wird. Der Patient sei „zurzeit aus psychiatrischer Sicht nicht haft- und verwahrfähig“, heißt es in einem der taz vorliegenden Gutachten.
Doch die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht Berlin wollen Zoran P. auf keinen Fall entlassen. Statt in „ambulanter Therapie in Freiheit“, die der Arzt Christian Jellinek für „dringend erforderlich“ hält, ist Zoran P. seit zwei Wochen in einer Isolierzelle in der Abschiebehaft unter besondere Aufsicht gestellt. Zwei Beamte säßen vor seiner Zelle, das Licht in dem kleinen Raum brenne Tag und Nacht, klagt Zoran P.
Seine Entschlossenheit, die zwangsweise Trennung von seiner Tochter Ferita und deren Mutter, mit der er fünf Jahre lang in Berlin zusammenlebte, zu verhindern, ist stärker als die Überwachung: Weil er keine Rasierklingen mehr ausgehändigt bekam, hat Zoran P. gestern drei Metallstücke verschluckt. Noch immer in der Hoffnung, seine Abschiebung zu verhindern. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, als Roma in Niš aufzuwachsen und nun dorthin zurückzukehren“, erklärt er der Besucherin.
Als Ältester von fünf Geschwistern besuchte Zoran P. die Schule nur unregelmäßig. „Die Lehrer und die serbischen Kinder haben sich über uns lustig gemacht. Außerdem musste ich meinen Eltern beim Straßenverkauf helfen.“ Zur offenen Diskriminierung kommt familiäre Gewalt – Zoran P. flüchtet das erste Mal: auf die Straße und in Kokain- und Heroinkonsum. 1995 entschließt er sich zum Bruch mit seiner Drogenabhängigkeit und flieht erneut: nach Deutschland.
Auch wenn die sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien, in der Zoran P. aufwuchs, längst nicht mehr existiert, hat sich an der „anhaltenden, weit verbreiteten und systematischen Diskriminierung von Roma in Serbien und Montenegro sowie aus dem Kosovo vertriebenen Roma“ nichts geändert, stellt amnesty international (ai) in seinem jüngsten Bericht vom März 2003 fest.
Die Ausländerbehörde jedoch möchte Zoran P., der nach der Ablehnung seines Asylantrags als „Illegaler“ weiter in Berlin lebte, unbedingt abschieben. Sie argumentiert, Zoran P. sei „weder gewillt, die aufenthaltsrechtlichen noch die strafrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland einzuhalten“, und listet eine Bewährungs- und mehrere Geldstrafen wegen Diebstahls und wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf.
Zum Verhängnis soll dem 31-Jährigen zudem werden, dass seine Vaterschaft für die dreijährige Tochter nicht amtlich eingetragen ist. Als Ferita geboren wurde, war ihre Mutter Tanja, die seit ihrem 17. Lebensjahr in Deutschland lebt und längst über eine unbefristete Aufenthaltsbefugnis verfügt, noch mit einem anderen Mann verheiratet. Ferita galt für die Behörden als dessen Tochter. Im Laufe des Scheidungsverfahrens wurde Zoran P. das erste Mal in Abschiebehaft genommen und im März 2002 ausgewiesen. Ohne Geld und familiäre Bindungen, schlug Zoran P. sich einige Monate mühsam in Niš durch. Er traf auf eine Situation, die der ai-bericht wie folgt beschreibt: „Häufige Angriffe auf Roma durch nichtstaatliche Akteure sowie der offenbar nicht vorhandene Schutz durch die Behörden gegen derartige Angriffe führen dazu, dass viele Roma große Angst davor haben, am Ende eines Arbeitstages ihre Siedlungen zu verlassen. Es handelt sich um eine Form von selbst auferlegter ethnischer Ausgangssperre.“
Petar Antić vom Zentrum für Minderheitenschutz in Belgard gibt in einem Bericht für die PDS-Abgeordnetenhausfraktion die Aussagen von zwei Betroffenen eines abendlichen Angriffs von 15 Naziskinheads auf eine Gruppe von Roma in einer Belgrader Straßenbahn wieder. „Ein Skinhead traf M. J. mit einem Baseballschläger über seinem linken Auge. Als ich ihm helfen wollte, wurde ich durch einen Schlag an der linken Schulter getroffen. Dann sah ich, dass sie andere mit Steinen getroffen hatten. […] Sieben Menschen waren verletzt. Als wir in den Krankenwagen einstiegen, beschimpften uns eine Krankenschwester und ein Helfer. Die Krankenschwester sagte: ‚Das ist kein Zigeunerviertel, wo soll ich euch denn alle unterbringen?‘ “
Im Mai 2002 reiste Tanja P., die als Putzfrau mit fester Anstellung den Lebensunterhalt der Familie bestreitet, mitsamt Tochter nach Niš, wo das Paar heiratete. Doch als Zoran P. ein halbes Jahr nach der Heirat immer noch kein Visum für Deutschland bekommt, hält er die Trennung von der Familie nicht länger aus und reist im November 2002 „illegal“ nach Deutschland ein, wo er prompt erneut verhaftet wird.
Sein Rechtsanwalt Sebastian Kreibig hat bislang vergeblich versucht, die Ausländerbehörde und die Gerichte davon zu überzeugen, dass Zoran P. tatsächlich Feritas Vater ist und damit nach geltenden Bestimmungen zum „Schutz der Familie“ eine Duldung in Berlin erhalten müsste. Kreibig kritisiert, dass „sowohl ein wissenschaftlich seriöser DNA-Nachweis der Vaterschaft“ wie auch „unzählige Fotos, die Zoran P. beim Spielen mit seiner Tochter zeigen“, von den Behörden ignoriert werden.
Die schlagen stattdessen vor, wenn die Familie zusammenbleiben wolle, könnten ja Tanja und Ferita nach Serbien nachkommen. Dass die Familie dort auf „eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und soziale Unterversorgung“ (ai) stoßen wird, spielt keine Rolle. Auch nicht, dass das Belgrader Zentrum für Minderheitenschutz von systematischer Diskriminierung in Schulen mitsamt Sonderklassen und Einstufung von Roma-Kindern als „lernbehindert“ berichtet, weil sie entweder nur schlecht Serbisch können oder als Rückkehrer aus Deutschland überwiegend Deutsch sprechen und lediglich das lateinische Alphabet beherrschen.
In einem letzten Behördenschreiben in Sachen Zoran P. heißt es am 3. April: „Der Betroffene lässt nichts unversucht, wenn ein neuer Abschiebeversuch unmittelbar bevorsteht. Aus diesem Grunde ist die Abschiebung mit entsprechender Sicherheitsbegleitung sowie Transport mit Sanitäterbegleitung vorgesehen. Ein Arzt befindet sich ohnehin an Bord der Maschine.“