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berliner szenenHeuthätt’ ich mehr erwartet

Zum ersten Mal, seit ich mehrmals in der Woche von Schöneweide an den äußersten westlichen Stadtrand pendele, funktioniert die Umsteigeverbindung. Ich habe mir längst angewöhnt, mindestens vierzig Minuten für Unterbrechungen des Schienenverkehrs durch Pendelverkehr, Notarzteinsätze und andere Katastrophen auf die Fahrzeit draufzuschlagen. Nun habe ich mit einem Mal Zeit übrig. Ich springe am Ostkreuz aus der S-Bahn und setze mich auf einen Hügel in die Sonne.

Es ist Valentinstag. Vor beinahe zwanzig Jahren habe ich den Valentinstag hier mit meinem ersten Freund verbracht. Wir haben uns oft nach der Schule auf einen Hügel mit Blick auf die Gleise gesetzt und die Welt vergessen: Wir waren 15 und das erste Mal richtig verliebt. In den letzten zwanzig Jahren war ich immer wieder am Ostkreuz. An unsere gemeinsamen Nachmittage aber habe ich dabei nie ­gedacht. Die Beziehung endete tragisch. Alle schönen Erinnerungen waren vom unschönen Ende überlagert. Jetzt kommen sie zurück.

Ich blinzle in die Wintersonne, als sich zwei Frauen neben mich setzen. Die eine zündet sich eine Zigarette an und sagt: „Mit denen darf man eben nur rechnen, wenn man nicht mit ihnen rechnet. Die legen sich nur ins Zeug, wenn man nicht mehr drauf wetten würde.“ Die ­andere verzieht ihre Mundwinkel: „Heut hätt ich aber echt mehr erwartet. Noch gestern hab ich extra gesagt: ‚Morgen ist Valentinstag.‘ Und er nur: ‚Den Tag haben die Blumenhändler erfunden.‘ “ Sie stöhnt. Die andere meint: „Deiner himmelt dich wenigstens an. Guck dir mal meinen an! An 364 Tagen kommt von dem: nix.“ Die beiden drehen sich zu mir. Die eine meint: „Mit den Männern ist doch nix ­anzufangen.“ Als ich gehe, ruft sie: „Dann eben von Frau zu Frau: schönen Valentinstag!“ Eva-Lena Lörzer

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