Hervorragender "Tatort": Da bleibt nur die Axt
Geschichte eines Scheiters: Der Kieler "Tatort" ist ein zeitgemäßer Psychokrimi zwischen "Shining" und RTL-Schuldnerberatung (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD).
Es lässt sich nicht so genau sagen, was Kaufhausdetektiv Klaus Raven dazu treibt, der Klassenkameradin seiner Tochter die Kehle zuzudrücken, bis diese zusammensackt. Ist es aufgestaute Aggression, die sich da entlädt? Handelt es sich um eine sexuelle Entgleisung? Oder ist es purer Sie-oder-ich-Überlebenswille? Schließlich wollte die auf frischer Tat ertappte Diebin ihm eine Vergewaltigung anhängen, um so der Anzeige zu entgehen. Er hätte dann seinen Job verloren, was in Anbetracht seiner finanziellen Verpflichtungen eine Katastrophe gewesen wäre.
Doch was auch immer die tiefere Ursache für den Gewaltausbruch von Raven (Andreas Schmidt) ist: Nach fünf Minuten dieser "Tatort"-Folge ist nicht nur das Opfer tot, sondern auch der Täter benannt. Gut so, denn statt darüber zu grübeln, wer denn nun der Mörder sein mag, kann der Zuschauer umso konzentrierter in Ravens Welt abtauchen, die von einem Wohlstand geprägt ist, der auf Pump geschaffen wurde. Die halbwüchsige Tochter besucht ein teures Internat, und die Frau (Maria Schrader) arbeitet im heimischen Schlafgemach als Gelegenheitshure, um der Kleinen die Reitstunden zu finanzieren. So erschien es irgendwie nur als eine Frage der Zeit, bis Raven die Sicherungen durchbrennen.
Es ist der Leistung des großartigen Schauspielers Andreas Schmidt geschuldet, dass man diesem Gewaltverbrecher nicht ohne Mitgefühl 80 Minuten durch sein schreiend paradoxes Leben folgt, nachdem man ihn zuvor bei der scheußlichsten aller Taten gesehen hat. Schmidt hat in Filmen wie "Pigs will Fly" schon sonderbar sympathische Schlägertypen gespielt, hier gibt er den Mörder nun als fatal überforderten Familienvater. Wenn Papa nach der Bluttat im Garten des Eigenheims Kaminholz hackt, als ob nichts gewesen wäre, ahnt man schon, dass sein Amoklauf noch weiter gehen könnte.
Am besten an dieser rigorosen Täterstudie ist, dass die Ausleuchtung des pseudo-großbürgerlichen Ambientes nicht mit diskreter Ironie betrieben wird, sondern mit schmerzvoller Seriosität. Sicher, es gibt einen gewissen Witz in "Borowski und das Mädchen im Moor". Etwa wenn der Kieler Ermittler (Axel Milberg) nach einem Unfall ausgerechnet beim Täter ins Auto steigt, als der gerade auf dem Weg ins Moor ist, wo er die Leiche verschwinden lassen will. Anschließend pflegt Borowski - "Columbo" lässt grüßen - ein geradezu freundschaftliches Verhältnis mit dem Verdächtigen.
Doch die Filmemacher nehmen ihr Aufsteigermilieu und die in ihm waltende psycho-ökonomische Systematik ernst. Drehbuchautor Sascha Arango brachte zuvor schon in der von ihm mit entwickelten "Blond: Eva Blond!"-Reihe auf aberwitzige Weise die Abhängigkeiten seiner Figuren zu ihrem Umfeld auf den Punkt, und Regisseurin Claudia Garde leuchtete in dem Borderliner-Psychogramm "Die Frau am Ende der Straße" die Eigenheimwelt als Biotop aus, das die pathologischen Züge ihrer Bewohner zum Blühen bringt. Hier nun zeichnen sie eine Welt, in der die Begriffe Wohlstand, Elite und Kultiviertheit wie Erfolgsversprechen klingen, die nur unter konsequenter Selbstausbeutung einzulösen sind.
"Borowski und das Mädchen im Moor" ist ein grausam zeitgemäßer Psychokrimi geworden, in dem der Thriller "Shining" ebenso seine Spuren hinterlassen hat wie die RTL-Schuldnerberatung mit Peter Zwegat. Raus aus den Schulden? Manchem bleibt da nur der Griff zur Axt.
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