kabinenpredigt : Herthas Rätsel
Erst Stuttgart, dann Dortmund und nun Hannover. Zum dritten Mal in Folge musste Lucien Favre am Samstag erstaunten Fragestellern eine Niederlage von Hertha erklären. Eine völlig neue Disziplin: Nicht, dass er mit den Berlinern früher nicht verloren hätte. Nur hielt sich damals die Verwunderung darüber sehr in Grenzen.
Zuletzt sah sich Favre einem Erklärungsbedarf ganz anderer Art gegenüber. Alle Welt zerbrach sich den Kopf darüber, wie Hertha Woche für Woche diese knappen Spiele für sich entscheiden konnte und zum unerwarteten Meisterkandidaten avancierte. Glück allein konnte es nicht sein, das ergab sich aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aus den wenig glanzvollen Auftritten der Berliner wurden sorgsam deren Qualitäten herausdestilliert: taktische Disziplin, Effizienz, Verteidigungsbereitschaft.
Nach diesem aufwendigen Verfahren erklärten die Fachkreise, insgeheim weiter ein wenig ratlos, Hertha zur Spitzenmannschaft. Kaum ist dies geschehen, mag den Berlinern nichts mehr gelingen. Die Ironie des Schicksals will es auch noch, dass sie gegen Dortmund und beim 0:2 in Hannover besser aussahen als bei ihren Erfolgen. Indes glänzten die Gegner im alten Hertha-Stil. Weniger Ballbesitz, aber mit der größeren Effizienz. Das verlangt wieder nach neuen Einschätzungen.
Die unterschiedlichen Antworten der Mannschaft fördern deren Identitätskrise zutage. Josip Simunic glaubt trotzig weiter an die Meisterqualitäten: „Der Traum ist noch nicht ausgeträumt.“ Maximilian Nicu dagegen meint, dass sich selbst „die Champions-League-Qualifikation erledigt hat“. Trainer Favre hält sich wie so oft in der abstrakten Sphäre auf: „Man kann nicht immer gewinnen.“
Bei seiner Mannschaft ist diese banale Erkenntnis noch nicht angekommen. Andrey Voronin nahm sich vorerst durch ein Frustfoul und die folgende rote Karte selbst aus dem Wettbewerb. Hertha ist wohl doch nicht das große Los in dieser Saison. Der Hauptsponsor, die Deutsche Bahn, scheint das bereits geahnt zu haben. Im Preisausschreiben ihres aktuellen Magazins gibt es 2 VIP-Karten für das Spiel gegen Schalke 04 zu gewinnen. Es ist der 11. Preis. JOHANNES KOPP