Herren-Finale US-Open: Del Potro entthront Federer
Juan Martin del Potro gewinnt die US Open. Der schüchterne Haudrauf-Spieler beerbt Roger Federer, der in New York bis dato in 40 Spielen nicht zu schlagen war.
Ist die Geschichte des letzten Spiels der US Open 2009 eher die des fassungslosen Siegers, der mit tränenfeuchten Augen den Pokal in Empfang nimmt und mit leiser Stimme sagt, er werde Tage brauchen, um das zu begreifen? Oder geht es doch eher um die Geschichte des gefassten Verlierers, der das Ende einer großartigen Serie fast gelassen akzeptiert und erklärt, man könne schließlich nicht alles haben? Für die argentinischen Fans in der riesigen Arthur Ashe Arena stellte sich die Frage am Montagabend nicht; die verabschiedeten ihren neuen Helden Juan Martin del Potro nach dem Sieg in fünf wechselvollen Sätzen gegen Roger Federer (3:6, 7:6, 4:6, 7:6, 6:2) mit Fußballgesängen in eine unruhige Nacht.
Es war eindrucksvoll, wie der lange Kerl, der so furchtbar draufhauen kann und ein so schüchterner Mensch ist, einen Tag nach dem großartigen Sieg gegen Rafael Nadal im ersten Grand-Slam-Finale seines Lebens die Nerven behielt. Wie er nach einer schwachen Phase zu Beginn trotz vieler Fehler nicht den Mut verlor, wie er Ende des zweiten Satzes die erste Wende erzwang, wie er sich auch vom Verlust des dritten nicht durcheinanderbringen ließ und im vierten beim Stand von 4:5 und 15:30, nur zwei Punkte von der Niederlage entfernt, weiter Mut bewies. Und wie er im fünften mit einer Selbstverständlichkeit davonzog, als spiele er jede Woche ein Grand-Slam-Finale. "Das war wirklich erstaunlich", meinte auch Federer. "Es ist ja nicht leicht gegen jemanden wie mich, der so viel Erfahrung hat; da braucht man einen Schläger aus Stahl."
Aber wieso kam der Titelverteidiger vom Weg des Erfolges ab, obwohl er bis Mitte des zweiten Satzes souverän gespielt hatte und die Leute wieder, wie am Tag vorher beim Sieg gegen Novak Djokovic, mit einem Zauberball von den Sitzen gerissen hatte? In dieser Phase sah es so aus, als werde das Spiel nicht allzu lange dauern, und hätte er beim Stand von 3:1 eine der beiden Gelegenheiten zu einem weiteren Break genutzt, dann wäre es vermutlich auch so gekommen. "Ich hätte niemals so viele Chancen vergeben dürfen", meinte er. "Wenn ich den zweiten Satz gewinne, hab ich eine großartige Ausgangsposition. Aber unglücklicherweise hab ich ihn nicht gewonnen, und das war es dann."
Er regte sich über das elektronische Kontrollsystem auf, das er noch nie mochte und auch nie mögen wird, weil er glaubt, es sei nicht korrekt. Und im vierten Satz legte er sich mit Schiedsrichter Jake Garner an, als es darum ging, ob del Potro sich zu lange Zeit ließ, bevor der die Elektronik zur Kontrolle in Anspruch nahm. US-Medien stellten daraufhin fest, Serena Williams sei nicht die Einzige, die in der Hitze des Gefechtes die Nerven verliere.
Die Frage ist: Wieso verlor der Herausforderer trotz eines schwachen Beginns nicht die Nerven, und wieso fand der Meister mit der Erfahrung aus 21 Grand-Slam-Endspielen keinen stabilen Standort mehr? Sein Aufschlag war schwächer als sonst, die Zahl der unerzwungenen Fehler (61, darunter 11 Doppelfehler) war größer. Im letzten Satz hatte er noch eine Chance, den davonstürmenden Gegner einzufangen, doch er vergab sie, und danach nahm die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage mit jedem Punkt zu.
Der große Landsmann Guillermo Vilas, vor 22 Jahren erster und bisher einziger argentinischer Sieger der US Open, verschwand während der letzten Viertelstunde von der Tribüne und traute sich erst wieder hervor, als del Potro lang ausgestreckt als Sieger am Boden lag. Beide hatten hinterher ziemlich rote Augen; sind halt sensible Menschen, der Poet mit dem Schäger und der neue starke Mann aus Südamerika.
Überhaupt, Argentinien; gegen David Nalbandian hatte Federer im Jahre 2003 zuletzt bei den US Open verloren, gegen del Potro riss nun eine denkwürdige Serie nach 40 Siegen und 5 Titeln. Obwohl er zugab, auf dieses Finale werde er vielleicht eines Tages wegen der vergebenen Chancen mit Bedauern zurückblicken, versicherte er auch, es falle ihm nicht schwer, die Niederlage zu akzeptieren. Nach diesem einzigartigen, von großen Gefühlen durchfluteten Jahr mit der Heirat, dem ersten Sieg in Paris, dem sechstem in Wimbledon und dem Rekord von 15 Grand-Slam-Titeln und vor allem der Geburt der Zwillinge.
Tränen flossen diesmal nur beim Sieger. Beim weitgehend sprachlosen, gleichermaßen verwirrten wie glückseligen Juan Martin del Potro, der nun knapp zwei Wochen vor seinem 21. Geburtstag den ersten Grand-Slam-Titel in der Tasche hat. Gewonnen bei jenem Turnier, das er am meisten mag. Ach ja, ein paar Dukaten, um den Geburtstag zu feiern, sind auch in der Tasche, genau gesagt 1,85 Millionen Dollar. Was er sich davon gönnen wird? "Weiß nicht", sagt er und grinst ein bisschen frech, "einen Käsekuchen vielleicht".
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