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„Herr Šešelj, Sie sind Kroate!“

Im Wahlkampf um die serbische Präsidentschaft dominieren nationalistische Parolen. Das zieht. Der Rechtsextremist Šešelj hat die besten Aussichten zu gewinnen  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

„Herr Šešelj, Sie sind gar kein Serbe, Sie sind Kroate!“ brüllte der monarchistische Hitzkopf Vuk Drasković seinem Rivalen, dem serbischen Nationalisten und Radikalenführer Vojislav Šešelj, ins Gesicht. Als Beweis zählte Drasković etliche Šešeljs aus kroatischen Telefonbüchern auf und fügte triumphierend hinzu, Vojislav hätte keinen einzigen Verwandten in Serbien. Šešelj konterte mit einer rührenden serbisch- orthodoxen Familienchronik, zog dann angriffslustig einen Zettel aus der Tasche und sagte mit verächtlicher Stimme: „Herr Drasković, hier steht, ein gewisser Drasković in Kroatien war katholischer Bischof. Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigene Herkunft!“

Solche Ausfälle erlebten die Serben nicht nur im TV-Duell, sondern während der gesamten Wahlkampagne der Präsidentschaftskandidaten der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) und der Serbischen Radikalen Partei (SRS).

„Nur Vuk!“ ist so ziemlich alles, was der „ewige Präsidentschaftskandidat“, wie man Drasković in Serbien nennt, seinen Wählern mitzuteilen hat. Er sei der serbische „Erlöser“, ein Mann mit „Visionen“. Hätte Serbien vor sieben Jahren auf die „mahnenden Worte“ des „begnadeten, göttlichen“ Dichters gehört, wäre es nie zu einem Krieg gekommen. Nur er könne Serbien vor dem Faschisten Šešelj, der ein Werkzeug der Milošević-Kommunisten sei, retten. Nach allen Meinungsumfragen hat Drasković jedoch keine Chancen.

Dafür setzt Šešelj uneingeschüchtert seinen Marsch auf den serbischen Thron fort. In lächerlichen Wahlspots in der Manier serbischer Volkslieder, mit infantilen Reimen, bietet er sich als Präsident an. Sein „weiser serbischer Großvater“ spricht von Šešeljs „serbischem Herz“, das in Šešeljs „serbischer Brust“ schlägt, von Serben, die endlich über serbisches Land verfügen sollen. Doch je mehr Intellektuelle Šešelj auslachen, desto stärker wird er.

Der nichtssagende neue Kandidat der Linken Koalition, der jugoslawische Außenminister Milan Milutinović, lächelt im stillen, während sich Šešelj und Drasković zerfleischen. Die meisten Analytiker in Serbien sind der Ansicht, daß Milutinović noch schwächer ist als der vorherige Kandidat der „Linken“, Zoran Lilić. Die Trickkiste von Slobodan Milošević scheint leer zu sein. Als noch nicht abgenutztes Aushängeschild der Milošević-Sozialisten verkörpert Milutinović das schwankende Regime. Ständig senden Medien seine faden Spots, die ihn mal mit Arbeitern, mal mit bekannten Staatsmännern zeigen. „Ich bringe Serbien nach Europa“, verspricht der Außenminister.

Die Krise im Kosovo hat die nationalistischen Töne im Wahlkampf verstärkt. Die abgegriffenen Versprechungen über wirtschaftlichen Aufschwung und höhere Gehälter reichen nicht mehr aus. „Das heilige serbische Land, die Wiege des Serbentums, werden wir niemals aufgeben“, wiederholen alle Kandidaten einstimmig. Allein in der vergangenen Woche wurden fünf Anschläge auf serbische Polizisen und regimetreue Albaner verzeichnet.

Die Polizei setzte Panzer und Hubschrauber ein, die „Jagd auf die Terroristen“ verwandelte sich in eine wahre Schlacht. Vier Menschen kamen auf beiden Seiten ums Leben, mehr als zehn wurden verwundet. Die Kosovo-Albaner wollen ihren Traum von einer „Unabhängigen Republik Kosovo“ nicht aufgegeben, obwohl die internationale Staatengemeinschaft eine Lösung der Kosovo- Frage innerhalb Serbiens fordert. Paradox ist, daß Šešeljs Sieg die Albaner ihrem Ziel näher bringen würde: Ein Ultranationalist an der Spitze Serbiens könnte Amerika und die EU dazu bringen, den Kampf der Kosovo-Albaner um Unabhängigkeit zu unterstützen.

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