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Helmut KohlEmotionale DDR der Westdeutschen

Helmut, Hannelore, Walter - die Familie Kohl ist überall. Warum eigentlich? Viele sehnen sich zurück an das Beharrungsvermögen, den Stillstand, der heute Stabilität heißt.

Kohls am Wolfgangssee: Stabilität und Wohlstand - es war nicht alles schlecht unter "Birne". Bild: dpa

Es gibt wieder Kohl, einen ganzen Auflauf sogar. Der Spiegel schreibt aktuell über die Streitigkeiten in der Familie des Exbundeskanzlers, sein Sohn Walter sprach mit Softtalker Markus Lanz und schlug ganz anders als in seinem Buch "Leben oder gelebt werden" vom Januar eher versöhnliche Töne an. Zudem gibt es eine aktuelle Hannelore-Kohl-Biografie, und weil ihre Söhne von der "Frau an seiner Seite" nicht allzu viel halten, haben sie einen Bildband über ihre Mutter vorgelegt.

Der Mann, der Deutschland 16 Jahre fest im Griff hatte, fasziniert natürlich; dass er vielleicht bald nicht mehr unter uns weilen könnte, ebenso. Am 5. Juli jährte sich der Todestag von Hannelore Kohl zum zehnten Mal, und so ließe sich die Schwemme auch leicht erklären, aber da ist noch mehr.

Denn Helmut Kohl ist so etwas wie die emotionale DDR der Westdeutschen. Viele unter ihm Geborene sprachen mit Schrecken über den empfundenen Stillstand und die bleierne Trägheit unter dem "Dicken", machten sich über seine Klamotten und alles Ästhetische an dem Mann lustig und ahnten doch, dass er niemals vergehen würde. Und heute?

Heute erscheinen in Lifestylezeitschriften versöhnliche Texte von um die Dreißigjährigen über die "Birne", die sie im Elternhaus noch so verachten gelernt hatten. Hartz IV gab es damals nicht, erwähnen Vertreter der Kohorte in hippen Kneipen dann gern, zeigen auf das sich selbst zerlegende Europa und erinnern an den großen Einiger.

Viele sehnen sich sogar zurück in die Spätzeiten des Kalten Krieges, als sie noch Kinder waren, weil einen da noch kein Araber mit der Bombe aus der Straßenbahn sprengen wollte. Dass USA und Sowjetunion mit ihren Bomben damals die ganze Welt in Schutt und Asche hätten legen können, trübt diese Wehmut nicht. Denn was früher als "igitt" galt bei Helmut Kohl, dieses Beharrungsvermögen, der Stillstand, das heißt heute gern "Stabilität". Es war eben nicht alles schlecht.

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13 Kommentare

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  • A
    Agnes

    Ich stimme Franz zu: Weg mit der Neuen Enge und dieser ganzen Kohl-Nostalgie!

  • SB
    Silvio Bagatelli

    Ich kann Franz nur zustimmen. Die Neue Enge ist wirklich das Spießigste, das es gibt. Aber leider finden sich in unserer Gesellschaft immer mehr Hinweise auf eine Entwicklung hin zur Neuen Enge. Man könnten auch von neuer Kleinbürgerlichkeit oder neuer Miefigkeit oder konservative Revolution sprechen. Eine Gesellschaft, die sich der Neuen Enge hingibt, gibt sich auf.

     

    @Jan: Ist der Ruhepunkt der Neuen Enge gleichbedeutend mit dem Stillstand der späten Kohl-Jahre? Und wünschen Sie sich wirklich dahin zurück?

    Wie gesagt: Gewagte These und aus meiner Sicht ziemlich gequirllter Unsinn, was in diesem Blog verbreitet wird.

  • FV
    Franz von Hahn

    @Jan Reyberg,

    eine gewagte These. Ihr Blog? Wie kann man nur soviel Unsinn in so wenig Beiträgen in ein einziges Blog quetschen?

     

    Gruß vom Franz

  • M
    Marburger

    @Karoline: Ein DDR-Ministerpräsident namens Kohl? Das kann ja nur die übliche Wessi-Ignoranz sein. Von denen gabs genau fünf: Grotewohl, Stoph, Sindermann, Modrow und de Maiziére. Kein Kohl.

  • S
    Streitbare

    @ Rod:

    Sie schreiben in Ihrem Leserbrief

    _Keiner hat deutsche Gerichte derart zum diktatorischen Durchdrücken seines Willens mehr mißbraucht als Helmut Kohl._

     

    Dann blenden Sie wohl die Zeit zwischen 1933 bis 1945 aus? Mir scheint es so.

  • R
    Rod

    Die heutige Schieflage Deutschlands haben wir nur Helmut Kohl zu verdanken. Vor Helmut Kohl wurde die keynesianische Wirtschaftsförderung konsequent betrieben. Kohl dagegen hat begonnen aus Wahlkampfgründen einen ohnehin bestehenden kleinen Aufschwung mit kräftigen Wirtschaftsförderungen künstlich hochzupuschen, statt in Zeiten von Aufschwüngen neue Rücklagen anzusparen. Als es dann zur nächsten Krise kam war das "Pulver verschossen". Von da an begann der Schuldenstrudel, in dem Deutschland immer schneller immer tiefer versinkt. Kohl war eine beschleunigte Fahrt auf den Abgrund zu. Eichels Sparprogramm war die Notbremse - leider wurde das nicht konsequent genug weitergeführt. Kohl steht auch dafür, politische Entscheidungen nicht mehr politisch zu diskuttieren, oder im Parlement entscheiden zu lassen, sondern diktatorisch per Gerichtsbeschluss durchzudrücken. Keiner hat deutsche Gerichte derart zum diktatorischen Durchdrücken seines Willens mehr mißbraucht als Helmut Kohl. Helmut Kohl steht für Bimbes, schwarze Kassen, geheime Hinterkammerpolitik, hochschleimen, aussitzen, am Posten kleben wie ein Kaugummi am Schuh und ein Land an den Abgrund bringen. Ich bin heute 40 Jahre alt und habe diese Zeit durchlitten. Es war schrecklich. Heute ist es genauso schlimm, da Kohl nach 16 Jahren nichts weiter als "verbrannte Erde" hinterlassen hat. Er sorgte sehr gründlich dafür, dass 16 Jahre lang neben ihm kein tauglicher politischer Nachwuchs entstehen konnte, Merkel und Konsorten kann man wohl nicht als ernstzunehmende Politiker bezeichnen. Jeder, der auch nur im Ansatz das Potential für eine Kanzlerkandidatur hatte, wurde von Kohl sofort plattgewalzt. Somit wundert es nicht, dass heute nur noch die versammelte Inkompetenz übrig geblieben ist.

  • V
    vic

    Wegen denen, die diese finsteren Zeiten herbeisehnen, wir das hier nichts.

  • S
    Sanna

    Ist der Artikel schon fertig? Liest sich wie der viel versprechende Anfang von etwas, nur das ETWAS fehlt irgendwie... Kommt vielleicht ja noch?

  • D
    Domi

    Was will uns bitte die Taz damit sagen?

     

    Wo ist hier der journalistische Wert?

    Wer gibt solche nichtssagenden, im nostalgischen Einheitsbrei, verfassten Texte frei?

    Ist Frau Merkel nicht Stillstand genug? Will die Taz wieder morgen vielleicht Genscher wieder im Kabinet sehen und werden wir hier bald auch solchen Unsinn lesen dürfen, dass Birne die Einheit herbeigeführt hat?

     

    Die Taz verkommt in den letzten Jahren immer mehr zu einem pseudoaltetnativen Schundblatt, welches die gleichen informationsfreien und nutzlosen Inhalte wie Spiegel und Bild unter das Volk streut!

     

    Der Kapitalismus unter Kohl war nicht weniger beschissen, als es der heutige ist, lediglich die Grenzen waren schärfer gezogen, der Markt nicht so zügellos wie heute, doch Kohl hat die Saat der verdorbenen Früchte geseht, die man uns heute auf den Teller packt.

  • K
    Karoline

    In Anlehnung an einen seiner ignorantesten Sprüche möchte man zusammenfassen: Der Kohl west, die Karawane zieht weiter...

     

    Sie vergassen zu erwähnen, dass er ein absoluter Käufling der Chemieindustrie, namentlich der BASF, war.

    Auch die unregulierte Dünnsäureverklappung in den norddeutschen Flussmündungen lag ihm am steinernen Herzen.

    Und seine Doktorarbeit enthielt vielbelachte, grottendämlich katholische Passagen - allerdings nicht über die Gechichte der Fammillje...

     

    Der West-Kohl war bekannter, hingegen der ehemalige DDR-Ministerpräsident Michael Kohl intelligenter.

  • H
    Hans

    Wenn dem so ist, dann ist den Leuten nicht mehr zu helfen. Helmut Kohl hat so manches angestossen, wenn es ihm in den Kram passte. Anderes wurde so gründlich verschlafen, dass wir heute noch nicht weiter sind, denken wir doch mal an die Atomenergie und wo wir heute technisch sein könnten. Der "grosse Einiger" liess es sich damals auch nicht nehmen, z.B. Problemfälle wie Martin Bangemann bequem über die EU wegzuloben - glaubt jemand, das hätte die EU weitergebracht? Und Hannelore Kohl war, wie es scheint, ein ganz armes Würstchen; man sollte sie wohl am Besten in Frieden ruhen lassen. Irgendwelche BRD-Romatik ist genauso deplaziert wie die sprichwörtliche Ostalgie.

    Sacht einer, der während des friedlichen Umsturzes in der DDR gerade Zivi war.

  • JR
    Jan Reyberg

    jaja, so ist das. Das liegt eigentlich nur an der Neuen Enge, dass jetzt alle wieder Kohl toll finden und schwarz-grün wollen. Denn in der Neuen Enge kommt die Gesellschaft zu ihrem seligmachenden Ruhepunkt. http://die-neue-enge.over-blog.de/article-das-dunkelgrune-projekt-die-theoretische-untermauerung-fur-die-allseits-gefuhlte-schwarz-grune-zukun-76590096.html

  • M
    Mat

    Quark. Ich kenne keinen, der Kohl ernsthaft zurück will oder sich danach sehnt. Im Gegenteil. Mag sein, daß es ein paar Jung-Unionisten gibt...

    Die Ära Kohl steht (zumindest in meinem Bekanntenkreis) für Stillstand, Korruption, Parteispenden-Skandale und ncoh wesentlich mehr als heute für kriminelle Politiker.

    Und das, was wir in den Medien derzeit über die Familie Kohl zu lesen bekommen ist ja nun auch nicht gerade eine Lobeshymne für den Dicken aus Oggersheim. Eher im Gegenteil.

    Nur weil über jemanden geschrieben wird, heißt das nicht, das sich irgendwer nach dem zurücksehnt.