Helm-Industrie ohne Ideen: Stress auf dem Kopf
Hersteller von Helmen freuen sich dank des "Althaus-Effekts" über hohe Verkaufszahlen, doch fehlen Alternativen für Freizeitfahrer. Das Helmdesign erinnert immer an Spitzensport.
Auf der Sportartikelmesse Ispo, die Anfang Februar in München stattfand, waren Skihelme der Verkaufsschlager. Die Branche spricht sogar bereits vom Althaus-Effekt, verzeichnen doch die Geschäfte seit Jahresbeginn ebenfalls erhebliche Zuwächse bei der Nachfrage von Helmen. Selbst die Hersteller und Händler von Fahrradhelmen erwarten sich noch positive Auswirkungen auf ihre Umsätze (oder hoffen insgeheim darauf, dass in der nächsten Saison ein Prominenter auch einmal in einen Fahrradunfall verwickelt wird).
Und doch: Deutlich wird zugleich, dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Helmmuffeln gibt, die sich allen Sicherheitsargumenten zum Trotz auch jetzt noch weigern, beim Ski- oder Radfahren mit Kopfschutz auf die Piste zu gehen.
Unter ihnen mögen es manche für uncool halten, einen Helm aufzusetzen, andere aber bekennen, sich "mit so einem Ding" doof zu fühlen - sich dann vorzukommen, als seien sie schlecht verkleidet. Von den im Handel üblichen Modellen überzeugt sie keines.
Solche Äußerungen sind bemerkenswert, belegen sie doch ein Versagen vonseiten der Hersteller, das man im Zeitalter hoch entwickelter Marktforschung nicht mehr für möglich gehalten hätte. So scheinen die Erwartungen vieler Konsumenten nicht ausreichend berücksichtigt, und die Vielfalt an Angeboten erweist sich bei näherer Betrachtung lediglich als Variation der immer selben Grundmuster.
Helm um Helm werden tatsächlich jedes Mal wieder allein die Aspekte Geschwindigkeit und Power in Szene gesetzt. Stromlinienförmiges Design, gar noch aerodynamisch gestylte Verzierungen der Helmschale, dazu technoide Metallic-Lackierungen und Produktnamen wie Fireball, Taifun oder Sport Sniper erzeugen schon im Laden einen Geschwindigkeitsrausch. Selbst der schnöde Anfänger darf sich damit als Topsportler fühlen und nimmt schlagartig die Rolle eines Slalomläufers oder Olympioniken ein.
So schmeichelhaft eine solche Aufwertung des eigenen Könnens sein mag, so wenig entspricht sie jedoch dem Selbstverständnis vieler Hobbysportler. Sie wollen sich gerade keinem Leistungsdruck unterwerfen und vermeiden es, sich als Profi zu gerieren, der seine eigenen Bestmarken immer noch übertrifft. Vielmehr wollen sie Spaß haben, sehen im Skifahren einen Ausgleichssport oder auch ein Erlebnis in der Natur. Sich zum Ass aufzurüsten empfinden sie daher als deplatziert.
Erst recht kommt sich peinlich vor, wer mit dem Fahrrad zum Einkaufen fährt und dazu einen Helm aufsetzen soll, dessen Schale aus einem Strebewerk aus Pfeilspitzen besteht, so als ginge es um den Sieg bei der Tour de France.
Eine alltägliche Fortbewegungsart wird auf diese Weise zu einem futuristischen Speed-Spektakel überhöht. Doch fehlen auch hier die Alternativen; vielmehr suggeriert das Design nahezu aller Helme einen Ausnahmezustand. Damit aber gerät ihre Verwendung unter normalen Bedingungen zur Albernheit.
Heutiges Produktdesign hat auch in vielen anderen Bereichen die Neigung, Tätigkeiten einseitig überzuinterpretieren. Die Absicht, den Konsumenten zum Experten, Profi oder Freak zu adeln, ja das Verlangen, selbst banale Aktivitäten zu emotionalisieren und in reißerische Events zu verwandeln, führt zu Produkten, die eine beiläufige Nutzung gar nicht zulassen. Ob es sich um einen Toaster oder einen Herd, Turnschuhe oder technische Geräte handelt: Wer etwas sucht, das "einfach so" handzuhaben ist, tut sich schwer.
Überall werden vielmehr Spitzenleistungen verlangt. Und sofern es doch simple Alternativen zu den aufgeladenen Designinterpretationen gibt, sind die fast immer so lieblos und billig, dass man sich düpiert vorkommt und daher auch keine Lust verspürt, sie zu kaufen.
Es gilt also die Regel: Wer sich nicht als Profi darstellen will, den bestrafen die Designer mit Nichtachtung. Die Konsumkultur verbietet es geradezu, noch in irgendeinem Feld Laie zu sein - etwas zu tun, ohne zugleich große Ambitionen zu entwickeln.
Vielmehr muss man sich überall superengagiert und topprofessionell geben und wird von den Dingen wie von Trainern in die Mangel genommen. Sie befehlen, wie man sich zu benehmen und was man auf welche Weise zu tun hat.
Das hat auch regelrecht zu einer neuen Art von Stress geführt, muss man doch oft mehr bieten, als man eigentlich will, um nicht als Banause und Versager dazustehen, ja um nicht von den eigenen Dingen vorgeführt zu werden. Daher ist große Vorsicht geboten, was man kauft, denn schnell holt man sich nur noch weitere Imperative ins Haus - oder auf den Kopf. Und deshalb muss man leider auch Verständnis für diejenigen haben, die einen Helm verweigern.
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