: Helden, Heldinnen
Identifikationsfiguren spielen eine herausragende Rolle in jeder Geschichtsschreibung verfolgter Minderheiten: Sie sollen für den integren Charakter jener Minorität bürgen. Homosexuelle Geschichtsschreibung begann am Ende des 19. Jahrhunderts, als sich vereinzelte Männer mit ihrem homosexuellen Begehren erstmals persönlich identifizierten und für ihre Rechte auch öffentlich eintraten.
Mit diesem Schritt riskierten sie ihre bürgerliche Existenz, denn mann-männliche Liebe galt als „widernatürliche“ Handlung und war strafbar. Zu den Vorkämpfern zählten der Jurist Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) aus dem Königreich Hannover, der erstmals eine Theorie der schwulen Emanzipation entwarf und zum weltweit ersten politischen Streiter einer Homosexuellenemanzipation wurde.
Eine historisch bedeutende Figur ist auch der Berliner (jüdische) Arzt Magnus Hirschfeld, der am 15. Mai 1897 das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) gründete: die Geburtsstunde der Schwulenbewegung.
Das WhK zog nicht nur gegen Diskriminierung zu Felde, sondern machte sich auch die Erforschung des Lebens Homosexueller zur Aufgabe. Am Ende der Weimarer Republik kam das WhK zur gleichen Erkenntnis wie die Homokämpfer heutiger Tage: Einen homosexuellen Lebensstil gibt es nicht. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde der Individualisierung des Homosexuellen brutal ein Ende bereitet.
Erst mit der Gay Liberation in den USA der Sechzigerjahre erlebte schwules und lesbisches Leben weltweit einen erneuten Aufschwung. 100 Jahre Schwulenbewegung hieß die bis dahin umfassendste Ausstellung zur Homogeschichte in der Berliner Akademie der Künste, die 1997 aus dem Fundus von über 1.400 Exponaten des Schwulen Museums schöpfte. Darunter waren zahlreiche Porträts schwuler Lichtgestalten wie Quentin Crisp, Rock Hudson oder Harvey Milk.
Milk war im San Francisco der Siebzigerjahre zum ersten offen schwulen Stadtrat der USA gewählt worden. Kritik an der Jubiläumsschau entzündete sich jedoch an dem Umstand, dass der ermordete SA-Führer Ernst Röhm mehr als Opfer denn als Täter des nationalsozialistischen Regimes dargestellt wurde. Auch die Auseinandersetzung mit Adolf Brand, Herausgeber des seit 1906 erschienenen und weltweit ersten Schwulenmagazins, Der Eigene, wurde beanstandet.
Brand hatte in seinem Verlag Serien männlicher Aktfotos unter dem Titel „Deutsche Rasse“ oder „Rasse und Schönheit“ publiziert. Der Anklage wegen „Verbreitung unzüchtiger Abbildungen“ war er mit der Begründung entgangen, „lediglich künstlerische, wissenschaftliche und rassenhygienische, nicht aber homosexuelle Zwecke“ verfolgt zu haben.
Der kritische Umgang mit Figuren wie Brand oder mit der Tendenz einiger schwuler Künstler, den männlichen Körper zu heroisieren, wird in der schwulen Geschichtsschreibung nach wie vor vernachlässigt.
Die Vergötterung des militärisch-muskulären Männerkörpers durch die Schwulenszene war lesbischen Forscherinnen häufig zuwider. Eine Auseinandersetzung mit dem (auch historischen) Bild Homosexueller von sich selbst steht jedoch weiterhin aus.
AK
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