piwik no script img

Heimplätze statt Privatwohnungen

■ Um Kosten zu sparen, sollen BosnierInnen zukünftig aus ihren privaten Unterkünften in Sammelunterkünfte ziehen

Bosnische Kriegsflüchtlinge sollen zukünftig verstärkt aus Privatwohnungen in Sammelunterkünfte umziehen. Der Senat will mit dieser Maßnahme Kosten sparen. Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat (CDU) bestätigte, daß diese Unterbringungsmöglichkeiten derzeit von der Gesundheitsverwaltung geprüft werde. Der durchschnittliche Preis beträgt pro Person und Tag rund 24 Mark für einen Platz, so die PDS-Abgeordnete Karin Hopfmann.

Der Senat muß für Gemeinschaftsunterkünfte nämlich auch dann zahlen, wenn sie nicht ausgelastet sind. Es sei also, so das Landesamt für soziale Angelegenheiten, nicht länger hinnehmbar, daß Flüchtlinge privat wohnten, während landeseigene oder vertraglich gebundene teure Sammelunterkünfte leerständen. Da der Senat Verträge geschlossen habe, aus denen er nicht aussteigen könne, sollen die bosnischen Flüchtlinge jetzt Wohnungen in Wohnheimplätze tauschen.

Ulla Jeske vom Flüchtlingsrat vermutet, daß hinter den Umzugsabsichten jedoch etwas anderes steht. Innenstaatsekretär Kuno Böse wolle die Flüchtlinge „loswerden“, wisse aber genau, daß er sie nicht massenweise abschieben könne, da die deutsche Staatsgewalt nur bis an die Landesgrenze von Bosnien-Herzegowina reiche. Um die private Initiative für eine Rückkehr anzukurbeln, hoffe er nun, die Flüchtlinge durch „soziale Beschneidungen“, wie die Unterbringung in Sammelunterkünften, zu „motivieren“. Ein weiteres Beispiel sei die Absenkung der Sozialhilfesätze für BosnierInnen auf 80 Prozent seit November.

Senesa Ksristić vom Südosteuropa-Kulturzentrum registriert bereits eine tiefe Verunsicherung der Flüchtlinge durch diese für sie nicht mehr nachvollziehbaren Einschränkungen. „Sie sehen in Sozialhilfekürzungen, Paßentzug und Umzugszwang Schritte zu ihrer Abschiebung.“

Der „dringenden Senatsbitte“, die Flüchtlinge in Sammelunterkünfte umzuquartieren, kam bislang jedoch nur Hohenschönhausen nach. Stadtrat Michael Szulczewski (CDU): „Wir haben die Flüchtlinge gebeten, in Sammelunterkünfte umzuziehen. Zwang haben wir keinen ausgeübt.“

Das sieht Ulla Jeske ganz anders. Sie hat von acht bosnischen Familien erfahren, die Mitte November vom Sozialamt „gezwungen“ wurden, noch am selben Tag umzuziehen. Darunter eine Familie mit einem Neugeborenen sowie mehrere Schulkinder, die in umliegenden Schulen bereits integriert waren. Drei Familien zogen, so Jeske vom Flüchtlingsrat, gezwungenermaßen um, bei den anderen lenkte der Sozialstadtrat nach tagelangen Protesten ein, und sie konnten in ihren Wohnungen bleiben.

Nach Meinung der bündnisgrünen Wilmersdorfer Sozialstadträtin Martina Schmidhofer haben die Umzüge einen delikaten Nebeneffekt: Für die „nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgten Flüchtlinge“ – im Klartext für die, deren Rückkehr in die Heimat der Senat zuerst ins Auge faßt – sind andere Wohnheime vorgesehen als für Flüchtlinge, die länger in Deutschland bleiben dürfen. Marina Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen