Heimliche Aussaat: Fahndung im Blumenkübel
Göttinger Guerilla-Gärtner säen in der Stadt Cannabis aus, die Grüne Jugend macht einen Fotowettbewerb daraus – und die Polizei muss Unkraut jäten.
GÖTTINGEN taz | Erstmals spross der Hanf vor einem Jahr im öffentlichen Raum. Bis zu 40 Zentimeter hoch wuchsen die Pflanzen auf dem Grünstreifen in der Mitte des Göttinger Kreuzbergrings, bevor Mitarbeiter des städtischen Grünflächenamtes mit der Sense anrückten.
Wer die Samen ausgebracht hatte, wurde zunächst nicht bekannt. Eine „heimliche Aussaat im Sinne von Guerilla-Gärtnerei“ vermutete damals Stadtsprecher Detlef Johannson. Später outeten sich anonyme Gärtner in einem Internet-Forum. Sie deklarierten „das wilde Aussähen als Protest gegen den restriktiven Umgang auch in Bezug auf den Konsum in Form von Marihuana“.
Das Beispiel machte Schule. In diesem Sommer sind „Einige Autonome Blumenkinder“ in Sachen Guerilla-Gardening in der Stadt unterwegs. „Aus Protest gegen die restriktive Drogenpolitik haben wir in ganz Göttingen mehrere Kilo THC-arme Cannabissamen verteilt“, schreiben sie in einem Bekennerbrief – hinter dem Kürzel THC verbirgt sich der Rausch verursachende Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC). Gleichzeitig fordern die „Blumenkinder“ Sympathisanten zur Nachahmung auf.
Tipps vom Experten des Hamburger Headshops "Grasweg" für das Züchten im Freien:
Vorbereitung: Samen sollten möglichst schon mehrere Wochen vor dem Aussetzten Zuhause hochgezogen werden. Ein anderes wichtiges Kriterium ist die Lage: je mehr Sonnenstunden, desto besser. Eingepflanzt wird genauso wie bei den meisten anderen Nutzpflanzen kurz nach Eisheiligen.
Pflege: Hanf ist eine sehr hoch wachsende Pflanze und, um sie verdeckt zu halten, sollten nach oben treibenden Spitzen immer wieder gekappt werden. So bleibt sie Boden-nah. Insekten und Pilzbefälle sind häufig ein Problem, Pflanzenschutzmittel sind daher unumgänglich. Man muss jedoch nicht direkt zu Pestiziden greifen, sondern kann auch natürliche Mittel wie Brennnesselsud oder Marienkäferlarven verwenden.
Ernte: Meist wird im Herbst geerntet. Zuerst muss ein gut durchlüfteter Raum so präpariert werden, dass zum einen kein Licht in ihn fällt und zum anderen die Temperatur zwischen 18 bis 22 Grad liegt. Die Blütenstände werden abgeschnitten und von kleinen Blättchen entfernt. Sie werden nun fünf bis sieben Tage aufgehängt, um einen Großteil der Feuchtigkeit zu verlieren.
Fermentieren: Das Produkt wird über mehrere Tage in Plastikbeuteln gelagert, so kann sich die Feuchtigkeit gleichmäßig verteilen. Häufige Durchlüftung verhindert Schimmelbildung.
Tatsächlich wächst derzeit Hanf in vielen Beeten und Kübeln Göttingens. Mitarbeiter der Stadtverwaltung und Polizisten kommen mit dem Zählen kaum nach. Sobald sie geortet sind, werden die kleinen Plantagen zerstört. Alles, was nach Hanf aussehe, werde vernichtet, sagt ein Polizeisprecher. Man könne die Pflanzen nach geltendem Recht nicht stehen lassen.
Einen Unterschied zwischen den weiblichen Pflanzen, die das psychoaktive THC beinhalten, und den männlichen Exemplaren machten die Beamten nicht. Auch der städtische Baubetriebshof ist angehalten, nach den Hanfpflanzen Ausschau zu halten. „Wir müssen der Polizei mitteilen, wenn wir einen neuen Standort gefunden haben“, heißt es in dem Amt. Dann werden die verbotenen Stauden entsorgt: „Wir behandeln das als Unkraut.“
Die Guerilla-Gärtner fordern die Legalisierung von Cannabis. Die Verbannung von Haschisch und Marihuana in die Illegalität habe unmittelbar negative Auswirkungen: Durch fehlende Kontrollmöglichkeiten würden Cannabisprodukte häufig gestreckt. Ein legaler Verkauf von Cannabisprodukten, zum Beispiel in Apotheken oder Coffee-Shops, schaffe dagegen Spielräume für eine kontrollierte Abgabe. Der repressive Kurs verschlinge zudem „Unsummen, die anderweitig – zum Beispiel in der Suchthilfe – bitter nötig wären“. Die These, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, halten die „Blumenkinder“ für Schwachsinn und wissenschaftlich längst widerlegt.
Die Grüne Jugend Göttingen unterstützt die Cannabis-Kampagne durch einen Fotowettbewerb. Wer eine besonders prächtige Hanfpflanze entdeckt, kann davon Bilder machen und ins Netz stellen. „Viele tausend Personen“ hätten sich auf der Homepage der Grünen Jugend bereits die Aufnahmen angesehen. Darunter seien „einige wahre Pflanzenjuwelen, die zeigen, dass auch das Vorziehen in Blumentöpfen und das spätere Aussetzen eine durchaus erfolgsversprechende Strategie zur Verschönerung der Stadt ist“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption