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Heimlich promovieren

betr.: „Junge Profs: Viel Geld, wenig Zeit“, taz vom 17. 7. 02

Bei den Protesten gegen das neue HRG, gegen die 12-Jahres-Frist für die Qualifizierungsphase zum Wissenschaftler, die Chancenvernichtung für Privatdozenten an Universitäten und gegen das biopolitische Projekt der Verjüngung der Professoren um 10 Jahre ist kaum bemerkt worden, welche Verschlechterungen sich für die ergeben, die jetzt mit der Arbeit an einer Dissertation beginnen wollen. Wer nicht aufpasst, läuft Gefahr in die Mechanik dieses perfiden Gesetzeswerks zu geraten.

Der „Beginn der Promotion“, bisher eine fließende, produktiv-kritische Phase thematischer Sondierungen, der Gespräche mit Hochschullehrern, auch des Zögerns, bevor man einen Anlauf zu diesem letzten noch verbliebenen freien geistigen Abenteuer der weitgehend bürokratisierten Lernfabriken nimmt, ist nach dem Willen von Frau Bulmahn und der politischen Mehrheit in diesem Lande jetzt ein Datum, das später für die Errechnung des zur Qualifikation gesetzlich vorgesehenen Biokontos herangezogen wird. Denn wer weniger als sechs Jahre bis zur Promotion verbraucht, kann mit den eingesparten Jahren sein sechsjähriges postdoktorales Konto entsprechend aufstocken.

Professorinnen und Professoren, die wissenschaftlichen Nachwuchs fördern wollen, tun also gut daran, Promotionsverhältnisse heimlich zu begründen. Promovierende müssen wissen, dass ein unnötiges „Outen“ als Promovend negativ auf das eigene Lebenskonto zur Qualifizierung angerechnet wird. Ein wissenschaftliches Vorhaben als Promotion anzuzeigen, bringt nach dem HRG nur Nachteile. Auch bei Auslandsaufenthalten (die ohnehin vorteilhaft sind, da Beschäftigungszeiten im Ausland gemäß § 57 b HRG nicht negativ zu Buche schlagen) sollte ein wissenschaftliches Projekt nicht als Promotionsvorhaben deklariert werden. Die Einschreibung in einen so genannten Promotionsstudiengang wird dagegen voll auf das Biokonto angerechnet.

Dabei sind formelle „Promotionsstudiengänge“ nach einem sehr guten Diplom- oder Magisterabschluss in den Geistes- und Sozialwissenschaften fachlich meistens sinnlos. Werden sie tatsächlich durchgeführt, verzögern sie die Fertigstellung der Dissertation, wie Erfahrungen in Graduiertenkollegs zeigen. Jetzt dienen sie nur noch der Errechnung der Ausschöpfung des Lebenskontos für die Qualifikation, das das Gesetz jedem Wissenschaftler zumisst, bevor die wissenschaftsfremden Regelungen des allgemeinen Teilzeit- und Befristungsgesetzes greifen. Unter den jetzigen Bedingungen ist die freie Selbstorganisation der Promovenden in invisible colleges, zu denen sie die Professorinnen und Professoren einladen, die sie brauchen, weitaus effektiver. Wer so verfährt, muss zwar höhere Kosten für die Krankenversicherung einplanen, aber vergrößert das Zeitfenster für befristete Beschäftigungsverhältnisse an Universitäten nach dem HRG. Dies größere Zeitfenster wird auf absehbare Zeit gebraucht werden.

Die klandestine Promotion in Deutschland und das Forschen im Ausland sind nach der Gesetzesmechanik des HRG die Pfade, die den Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften empfohlen werden können, die es mit der Wissenschaft ernst meinen.

PROF. DR. WOLFGANG ESSBACH, Freiburg

Dem Artikel ist die nicht zutreffende Aussage zu entnehmen, dass eine Juniorprofessorin an der Universität Lüneburg acht Wochenstunden lehren müsse. In Niedersachsen ist die Lehrverpflichtung wie folgt geregelt: Die Vorab-Juniorprofessoren haben aufgrund ihres Arbeitsvertrages eine Lehrverpflichtung von vier Semesterwochenstunden (SWS) (und nicht acht!). Dies gilt für ihre erste Amtszeit von drei Jahren. Bis die Juniorprofessoren die zweite Amtszeit von drei Jahren antreten, wird der Geltungsbereich der Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) auf die Juniorprofessoren ausgedehnt sein. Das bedeutet, dass sie dann in der ersten Amtsperiode vier, in der zweiten Periode sechs SWS zu lehren haben. UTE STALLMEISTER, Sprecherin im Niedersächsischen

Ministerium für Wissenschaft und Kultur

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