: Heimkino mit Kuhherde
Die Natur war seine Inspirationsquelle: Die Galerie Cru stellt den Schweizer Autodidakten Hans Krüsi das erste Mal in Berlin vor
Von Inga Barthels
Ein kleiner weißer Vogel stakst auf einer Postkarte umher. „Jeder Mensch hat einen“, hat Hans Krüsi in blauer Schreibschrift über ihm notiert. Ein bezeichnender Satz, denn Krüsi gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Art Brut, also der Kunst von Laien und Menschen mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung. Er ist einer der wenigen Autodidakten, der es schaffte, mit seiner Kunst seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In Zusammenarbeit mit dem Museum Thurgau zeigt die auf Outsider Art spezialisierte Galerie Art Cru Hans Krüsis Werke jetzt zum ersten Mal in Berlin.
Die Schweizer Natur ist die Inspirationsquelle Nummer eins für den Künstler. Seine bevorzugten Motive sind Wiesenblumen, Katzen und immer wieder Kühe, die er auf fantasievolle und spielerische Art zum Einsatz bringt. Die Galerie Art Cru zeigt unter anderem seine „Kleine Kuhmaschine“, eine bunte Konstruktion aus Holz, Papier und Bierdeckeln. Dreht man an den Kurbeln, zieht eine Herde von Kühen auf einem Kartonstreifen an dem Betrachter vorbei. Ein Heimkino der besonderen Art.
So märchenhaft wie seine Kunst ist auch Hans Krüsis Lebensgeschichte. 1920 als uneheliches Kind geboren kam er erst zu einer Pflegefamilie und später ins Waisenhaus. Er schlug sich als Bauernknecht und Gärtnergehilfe durch. Eigentlich wollte er selbst Gärtner werden, doch die mangelnde Schulbildung und eine schwache körperliche Konstitution machten das unmöglich. So begann Hans Krüsi 1948 an der Bahnhofstraße in Zürich selbs tgepflückte Blumen zu verkaufen. Fast täglich pendelte er dafür mit der Bahn aus der Ostschweiz in die Stadt.
Schon früh hatte Krüsi begonnen zu fotografieren, später malte und zeichnete er und verkaufte seine Werke gemeinsam mit den Blumen. Allmählich wurden erst andere Künstler, dann auch Galerien auf den exzentrischen Autodidakten aufmerksam. 1976 feierte Krüsi seine erste Ausstellung in einer Blumengroßhandlung in St. Gallen, einige Jahre später wurde die Kunst sein Lebensmittelpunkt. Museen in St. Gallen, Lausanne und Thurgau zeigten seine Werke. Als Hans Krüsi 1995 an einer Lungenkrankheit starb, war er ein wohlhabender Mann geworden.
Unter dem Titel „Hans Krüsi: Vom Waisenkind zum Genie“ gibt die Schau in der Galerie Art Cru einen Einblick in die Welt dieses außergewöhnlichen Künstlers und Selbstdarstellers. Rund 4.000 Zeichnungen und Bilder hat Hans Krüsi hinterlassen, dazu kommen unzählige Fotografien. Über hundert seiner Werke sind in Berlin zu sehen. „Hans Krüsi Kunstmaler“ steht über einer der Arbeiten, auf der eine weiße Katze gelangweilt dem Betrachter entgegenblickt. Und dieser Kunstmaler malte und zeichnete mit allem, was er in die Hände bekam: Farbspray, Filzstift und Deckweiß auf Papierservietten oder Packpapier. Die Grenzen zwischen Alltag und Kunst verschwinden im Werk von Hans Krüsi. Selbst seinen Ziehwagen hat er zum Kunstobjekt gemacht, verziert mit bunten Zeichnungen und Fellapplikationen.
Mit seinem Gebrauch von Schrift gibt der Künstler auch Einblicke in sein Innenleben. „Ich kann nicht schaffen wenn ich kalt habe / ich kann nicht atmen wenn ich heiß habe / ich kann nicht schlafen wenn kein Wein“, schrieb er auf eine Postkarte. Die Galerie Art Cru präsentiert auch Fotos, die den Künstler zeigen. Hans Krüsi in seinem chaotischen, bunt geschmückten Atelier oder beim Verkauf seiner Bilder auf der Straße. Krüsi war bekannt für seine exzentrischen Kopfbedeckungen, häufig verzierte er seinen Hut mit frischen Blumen. „Auch ein Nichts kann etwas werden“, notierte er auf einem A-4-Karton. Die Kunst hat Hans Krüsi aus seinen prekären Lebensverhältnissen befreit. Gelebt hat er sie schon lange davor.
Galerie Art Cru, Oranienburger Straße 27, Berlin-Mitte, bis 11. Mai, Di.–Sa. 12–18 Uhr
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