: Heilsames Patchwork
Die Romni-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas stellt ihre Textilcollagen im Kunsthaus Bregenz aus – und macht die Kultur ihrer Vorfahren sichtbar
Von Jana Janika Bach
Stummfilmlegende Charlie Chaplin, Rapper Sido, Schlager-Ikone Marianne Rosenberg oder der britische Schauspieler Sir Michael Caine – sie alle haben Roma-Wurzeln, manche von ihnen hielten dies aus Gründen jahrzehntelang geheim.
Als Małgorzata Mirga-Tas 2022 den polnischen Pavillon zur Biennale in Venedig mit großformatigen, bis zur Decke reichenden Textilcollagen ausstattete, war sie die erste Romni-Künstlerin überhaupt, die je ein Land bei der venezianischen Weltkunstschau prominent vertrat. Angelehnt an den Fresco-Zyklus im Palazzo Schifanoia in Ferrara, ein üppiges Werk der italienischen Renaissance-Malerei, erzählte ihr bunter Bilderfries statt von Göttern der Antike vom Auszug der Romnja nach Europa – eine Geschichte, die das vielfältige Nomadenleben widerspiegelte wie eine über Jahrhunderte erfahrene Marginalisierung und Diskriminierung.
Ihr Material hat sich Mirga-Tas, die in Czarna Góra am Fuß des Tatra-Gebirges in der Woiwodschaft Kleinpolen lebt und 1978 in Zakopane geboren wurde, wohlweislich gewählt. Und sie verarbeitet es im Sinne der Bildhauerin Louise Bourgeois, die im Nähen einen heilsamen Prozess sah: „The act of sewing is a process of emotional repair.“ Ein Handwerk, das bereits ihre Großmutter und Mutter ausübten und das Mirga-Tas identitätsstiftend nutzt.
Zusammengeflickt aus Stoffresten – Tischdecken, Vorhängen, Bettwäsche, Kleidung – gespendet von Freunden und Verwandten, funktionieren ihre Patchworks als Gemeinschaftsakt der Selbstermächtigung. Bis heute haben viele der stigmatisierenden, antiziganistischen Stereotype der Romnja in Teilen der Gesellschaft und europäischen Kunstgeschichte überdauert. Mirga-Tas’ Kunst setzt dem eine vorurteilsfreie Ikonografie entgegen, um die Kultur ihrer Vorfahren sichtbar zu machen.
Ab Juni entspinnt sich im Kunsthaus Bregenz die Ausstellung „Tełe Ćerhenia Jekh Jag“ („Unter dem bestirnten Himmel brennt ein Feuer“) über mehrere Etagen, die in Mirga-Tas’ Welten, zwischen Realem und Mythisch-Magischen angesiedelt, eintaucht. Im oberen Geschoss verdichten sich Verse und Biografisches in einer Stoffarbeit zu einer Hommage an ihren Großvater, der Schmied war, und die von Zeilen des Roma-Dichters Jan Mirga inspiriert ist, dessen Lyrik das Formen von Eisen in der Glut als Metapher für Widerstandskraft deutet.
In den anderen Stockwerken warten Figuren aus Wachs – ein Gemisch mit apotropäischer, also Dämonen austreibender Wirkung, wie man glaubte. Drei gigantische Bären lassen etwa an Robert Southeys Prosa vom Goldlöckchen denken – ursprünglich ein Schreckensmärchen, später eine familientaugliche Mär – oder an slawisch-osteuropäische Faschingsbräuche. In Małgorzata Mirga-Tas’ Landschaften, die Raum für Resonanz und Erinnerung schaffen, wird schier Unvorstellbares entworfen, wie ein Idyll, in dem Mensch und Natur im Einklang sind.
Małgorzata Mirga-Tas: „Tełe Ćerhenia Jekh Jag“, 7. 6. –28. 9., im Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, 6900 Bregenz, Österreich
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