: Heilige Hallen der Vorstädte
Ein festes Haus – für die Unbehausten und Einsamen dieser Kurzgeschichten der Himmel auf Erden. Scott Bradfields Erzählungsband „Unzweifelhaft der Beste“
Diese Menschen wünschen sich Häuser. Häuser, aus denen sie niemand vertreibt und in die niemand eindringt, Häuser, die ihnen Schutz geben und die sie vergessen lassen, dass es da draußen noch etwas anderes gibt als ihr Reich da drinnen. Oft sind es junge Frauen oder halbe Kinder, die sich einzurichten suchen. Dolores kauft sich „ein Häuschen im Valley und einen Airedale-Welpen namens Bud“, nachdem sie wohl ein halbes Dutzend Männer unter die Erde befördert hat; Sandra Mitchelson deckt sich mit den profanen Heiligtümern der Konsumwelt ein, bis ihr Heim einer Kathedrale des Wohlstands gleicht; die halbwüchsige Margaret fürchtet nichts so sehr, wie dass die Erbschleicherin Fergie ihr das Haus der todkranken Mutter streitig machen könnte; und Alison Parrott – „genau die Art von Frau, für die alte Männer schwärmen“ – kauft sich von den Zuwendungen der moribunden Herren als Erstes „eine Eigentumswohnung in den San-Gabriel-Bergen“.
Für die Unbehausten und Einsamen dieser Kurzgeschichten ist ein festes Haus der Himmel auf Erden. Und auch die Videorecorder und Kleider, die teuren Möbel und Autos, mit denen sich die auf meist zweifelhafte Weise zu Geld Gekommenen besinnungslos eindecken, stehen wie Fetische in diesen heiligen Hallen der Vorstädte. Doch die ersehnte Ruhe, die die Frauen bei einem ungestörten TV-Dinner in den eigenen vier Wänden empfinden, ist von kurzer Dauer. Schnell kommen Schlaflosigkeit und wilde Träume über sie.
Scott Bradfields Universum wird bevölkert von solchen Losern. Die Rigorosität, mit der diese Rastlosen Häuser bewohnen, Männer morden oder davon überzeugt sind, selbst ein Wolf zu sein, führt sie aus ihren kaputten sozialen Beziehungen heraus in eine autistische Freiheit – doch wenigstens manipulierbar sind sie nie. Unbeirrbar durch Moral oder sonstiges menschliches Regelwerk, folgen sie der grausamen Eigenlogik ihres Lebens. Darin stimmen die Serienmörderin und der kleine Angestellte, die Tochter der Krebskranken und der vom Seitensprung seiner Ehefrau Besessene überein.
Es sind diese sehnsüchtigen Verzweiflungstäter, aber auch die eruptiven Storyanfänge, mit denen Bradfield seine Leser in die geisterhafte Unterwelt seiner Figuren stößt, die es unvermeidlich machen, den Namen Raymond Carvers zu nennen. Allerdings griffe es – auch wenn dies als Kompliment gelten darf – zu kurz, in Bradfield allein dessen Epigonen zu sehen. Denn von dem Übervater der amerikanischen Short Story trennen ihn seine Lust am Absurden und seine Ausflüge ins Surreale, die man mit Carvers dirty realism nicht verwechseln darf. Bradfield, der drei erfolgreiche Romane geschrieben hat und sich mit „Planet der Tiere“ als Satiriker zeigte, hat die Grenzen zwischen realism und surrealism souverän niedergewalzt. Und so ist es ein eiskalter Humor, der gerade zwischen den Zeilen jener Kurzgeschichten aufscheint, die aus tierischer Perspektive erzählt werden: Ein Hund plagt sich mit existenzialistischem Gedankengut herum, während er sich einfallsreich gegen die Einnahme der verordneten Antibiotika wehrt; ein Papagei sinniert über Chancen und Risiken, die die Freundschaft mit einer Katze bringen könnten – und legt diese dann heimtückisch um; und ein Familienvater hält sich selbst für einen canis lupus tundrarum, was Ehefrau und Arbeitgeber allerdings nicht goutieren mögen.
Überhaupt sind es gerade die Tiergeschichten, die Bradfields Menschenfiguren ins Licht rücken. Man denke nur an die jungen Frauen, ihre versoffenen Mütter und die gedankenlos rohen Männer, mit denen sie wahllos schlafen. „Es ist seltsam – gerade im Zoo vergessen die Tiere, dass sie eine Gemeinschaft bilden. Je enger man sie zusammenpfercht, desto fremder werden sie sich. Durch Gitterstäbe getrennt, doch nicht voreinander verborgen, wagen sie nicht mehr, dem anderen ins Gesicht zu blicken“, heißt es so schön in „Planet der Tiere“. Und man meint, direkt in die Häuser von „Unzweifelhaft der Beste“ zu blicken. ANGELIKA OHLAND
Scott Bradfield: „Unzweifelhaft derBeste“. Aus dem Amerikanischen von Manfred Allie. Ammann Verlag, Zürich 2001, 258 Seiten, 39,90 DM
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