piwik no script img

Heiko WerningGehört Katjes zu Deutschland?

Heiko Werning
Kolumne
von Heiko Werning

In einem Werbespot mampft eine Hidschab tragende Frau Süßes – und die Rechte dreht durch. Der Untergang des süßen Abendlandes steht bevor!

S kandal! Der Süßwarenhersteller Katjes weist in einer Werbekampagne auf seine vegetarischen und somit auch schweinefreien Essgummis hin, die auch von Muslimen bedenkenlos verputzt werden können – sofern sie sich nur für ihr religiöses Brimborium interessieren und nicht etwa für ihre Gesundheit. Deshalb darf im zugehörigen Werbespot auch eine Hidschab tragende Frau so ein Ding allahkompatibel abschlucken. Wohlgemerkt, das ist alles. Mehr passiert nicht. Eine bekopftuchte Frau beißt in ein Katjesdings. Nebst anderen Frauen mit voll einsehbarer Haarpracht.

Schon über die ungeheure Tatsache, dass jetzt sogar Katjes beim Veggie-Mainstreaming mitmacht, herrscht einige Unruhe in den sozialen Medien. Wo doch jeder weiß, dass in ein ordentliches deutsches Produkt nun einmal irgendwas mit toten Tieren reingehört, weil sonst schließlich unsere Kultur den Bach runtergeht – selbst wenn die Mehrheit der Konsumenten bis dahin kaum auf die Idee gekommen sein dürfte, dass Fruchtgummis überhaupt etwas mit Schweinen zu tun haben könnten.

Doch als wäre vegetarisch nicht schon schlimm genug – das Zeug wird nun also auch noch als halal angepriesen! Die Reaktionen am rechten Rand von AfD bis Emma fallen erwartungsgemäß aus. Es folgt die übliche Suada von Unterwerfung, Islamisierung und Untergang des Abendlandes. Umgehend wird dazu aufgerufen, das Katjes-Abo zu kündigen. Irgendein Schweinepriester von der AfD twittert listig: „Was soll uns diese Werbung sagen? Vielleicht, dass nur Hidschab-Trägerinnen dieses Produkt kaufen sollten?“

Aber Unmut kommt auch von anderer Seite: Das Neue Deutschland sekundiert, der Zeitpunkt für die Kampagne sei „mindestens ungeschickt gewählt“, wo doch Frauen in Iran gerade gegen den Zwang zum Kopftuch protestieren. Die sind jetzt natürlich praktisch erledigt, denn welche Frau würde schon noch ihr Kopftuch ablegen wollen, wenn sie doch auch darunter ganz problemlos Fruchtgummis naschen kann? Da werden die Ajatollahs sich aber kräftig in den Zauselbart lachen!

Und dann der finale Schock: Eine topinvestigative Recherche hat enthüllt, dass das Hidschab-Model überhaupt keine Muslimin ist! Da geraten Weltbilder ins Wanken. Der Wirtschaftssender n-tv kommentiert entsetzt: „In einer Branche, in der Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit die beiden wichtigsten Währungen sind, hat die Kampagne deshalb nicht restlos überzeugt. Zur Glaubwürdigkeit trägt ein nichtmuslimisches, Kopftuch tragendes Model nicht bei.“ Das ist ein verständlicher Einwand. Denn wenn man heutzutage nicht einmal mehr der Werbung vertrauen kann, was bleibt einem denn dann noch?

Außer: diese leckeren Katjes-Lakritzkätzchen. Die immer so zwischen den Zähnen kleben, dass man den Mund praktisch nicht mehr aufkriegt. Dann herrscht für einen kurzen Moment mal Ruhe. Und dafür allein schon wollen wir Katjes danken und lobpreisen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ja wie?

    Das hat doch Tradition!

    Aber - si'cherdat!

     

    "…Der Wirtschaftssender n-tv kommentiert entsetzt: „In einer Branche, in der Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit die beiden wichtigsten Währungen sind, hat die Kampagne deshalb nicht restlos überzeugt. Zur Glaubwürdigkeit trägt ein nichtmuslimisches, Kopftuch tragendes Model nicht bei.“ …"

     

    Schon die American Indians fanden es ziemlich daneben - daß nicht sie die Pawnees Delewares Mingos Apatsch&Comanchen bei

    Karl May et al. geben würden.

    &

    AIRPA - the model is at hand!;)

    "American Indian Registry for Performing Arts."

     

    ("Indianer spielen" by Harry Rowohlt

    Pooh's Corner S. 183 ;)

    • @Lowandorder:

      & siehste - alles gut!

       

      " diese leckeren Katjes-Lakritzkätzchen. Die immer so zwischen den Zähnen kleben, dass man den Mund praktisch nicht mehr aufkriegt. Dann herrscht für einen kurzen Moment mal Ruhe. ...

       

      [und Heidi Klum

      bleibt stumm https://www.youtube.com/watch?v=7NH-1vJ5Vs4 ]

       

      Und dafür allein schon wollen wir Katjes danken und lobpreisen. "

       

      Ok - General mook wi!;))

  • Ich bekomme die Aufregung hier das erste Mal mit (hat schon Vorteile, wenn man nicht auf Twitter unterwegs ist...)

     

    Und lustigerweise finde ich das totale Pink der Werbung viel schlimmer. Aber so hat eben jede/r ein eigenes Steckenpferd.

  • Was fehlt ist die Beschwerde über cultural appropriation.

    • @fly:

      Genau das dachte ich auch! :-)

  • Glaubwürdigkeit und Werbung sind doch Gegenteile oder? Guter Artikel!