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Heikle Psychologie

■ Promovieren ist eine Grenzerfahrung, eine Art manisch-depressiver Narzißmus. Man regrediert zum ewig jammernden Kind

Alles ist interessant, wenn man es nur lange genug ansieht, sagt Flaubert. Ob das auch für meinen Bildschirmschoner gilt? Vielleicht sollte ich lieber über die Rolle von Bildschirmschoner-Sequenzen für wissenschaftliche Kreativität promovieren, anstatt mich in den Untiefen der Politikwissenschaft zu verlieren. Vor mir liegt die Freiheit: drei Jahre lang Bücher lesen, die ich immer schon mal lesen wollte, dann selbst eines schreiben und dafür noch bezahlt werden. Großartig, möchte man meinen, freie Zeiteinteilung, nur sich und seinen Geistesblitzen verpflichtet, keine Routine und am Ende ein Titel, der bestätigt, daß man ganz schön gebildet ist. Die perfekte Strategie, um die Begegnung mit den Realitäten des Lebens noch ein bißchen und ganz legitim herauszuzögern, eine Verlängerung der Kindheit.

Doch, doch, Promovieren bildet, das kann ich bestätigen, zum Beispiel habe ich gelernt, dem leisen Klicken, das der Computer von sich gibt, wenn er wieder einmal auf den Bildschirmschoner umspringt, die Antworten auf die sich ewig neu stellende Sinnfrage abzulauschen. Denn das mit der Verlängerung der Kindheit ist eine zwiespältige Sache. Während man sich als Kind keine Gedanken über Sinn macht, ist man sich als Promovendin der gesellschaftlichen Nutzlosigkeit immer bewußt. Sie zu ertragen erfordert heikle psychologische Konstruktionen, die nie wirklich funktionieren.

Promovieren ist eine Grenzerfahrung, eine Art manisch-depressiver Narzißmus. Man regrediert zum ewig jammernden, ewig trostbedürftigen Kind. Ich neige zum Beispiel dazu, mir in Phasen von Produktionskrisen morgens im Bett laut selbst gut zuzureden. Ich verspreche mir ein leckeres Frühstück, ausgiebige Zeitungslektüre, und dann, hoffe ich, schreibe ich vielleicht ja doch noch was. In meinen manischen Phasen gebe ich mich der Illusion hin, hier und jetzt mein Fach zu revolutionieren und die Arbeit zu schreiben, auf die die Menschheit schon lange gewartet hat. In den depressiven, die sich sofort anschließen und meist viel, viel länger sind, begebe ich mich in die Selbstanalyse. Die Arbeit ist langweilig, sie sagt nichts Neues, sie ist schlecht geschrieben, und sowieso hat mich niemand lieb.

Die Mischung aus Isolation am Schreibtisch und dem Gefühl von Abhängigkeit von dem/der BetreuerIn hat schon vielen schlaflose Nächte beschert. Selbstmitleid wächst ins Unendliche. Das bange Warten nach der Abgabe des ersten Kapitels läßt mich wieder zum Kleinkind regredieren.

Nicht umsonst heißen BetreuerInnen Doktorväter bzw -mütter. Sie haben fast soviel Macht wie die anderen Eltern. Nur besteht das akademische Pubertieren, das nötig ist, um sich von ihnen zu lösen, nicht aus verbotenen heißen Disconächten, sondern aus relativ spaßfreier Introspektion. Die Exegese kryptischer Briefe von BetreuerInnen, in die hohe Hoffnungen à la „Sie löst das Problem, mit dem ich mich schon zwei Jahre herumschlage“ gesetzt wurden, endet naturgemäß in Enttäuschungen.

Gegen die Larmoyanz habe ich ein wunderbares Mittel des Selbstbetrugs entwickelt: Zeitpläne. In Phasen absoluten kreativen Stillstands mache ich völlig überladene Zeitpläne, die ich dann folgerichtig nie einhalte. Aber sie geben mir das beruhigende Gefühl, die Sache in der Hand zu haben. Meine innere Preußin sagt mir, ich soll jetzt aufhören zu jammern und endlich schreiben, anstatt auf meinen eigentlich recht schönen Bildschirmschoner zu starren. Ich schlage ihr einen Deal vor: Ich werde erwachsen, und sie schreibt meine Arbeit. Cilja Harders

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