: Heftige Attacken der FDP auf Waigel
■ Gerhardt und Westerwelle warnen: Steuererhöhungen wären das Ende der Koalition. Trotz Absenkung des Soli-Zuschlags klafft für 1997 immer noch ein Haushaltsloch von 3 bis 4 Milliarden Mark
Bonn (AP) – Im Koalitionsstreit wegen der Milliardenlöcher im Bundeshaushalt greift die FDP immer heftiger Finanzminister Theo Waigel an. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt kritisierte am Wochenende, Waigel lege jede Woche neue Zahlen vor. Steuererhöhungen wären das Ende der Koalition, erklärten Gerhardt und sein Generalsekretär Guido Westerwelle. Wirtschaftsexperte Otto Graf Lambsdorff warf Waigel vor, er betreibe keine vorausschauende Finanzpolitik. Zwei Ministerien wehrten sich vorsorglich gegen weitere Etat-Einschnitte. Gerhardt sagte dem Spiegel: „Ich bin es leid, daß wir wöchentlich über Haushalte mit neuen Zahlen diskutieren müssen.“ Auch wenn sich bei der Steuerschätzung Anfang November weitere Haushaltslöcher auftäten, gelte die Koalitionsvereinbarung: „Das zusätzliche Defizit muß ausschließlich durch Sparen verhindert werden.“ Die FDP habe ihren Sparbeitrag dadurch geleistet, daß sie der Verschiebung der Senkung des Solidarbeitrags zugestimmt habe: „Damit erfolgt die Absenkung 1998 um zwei Prozentpunkte automatisch“ – von derzeit 7,5 auf 5,5 Prozent.
Wie Gerhardt sprach auch Westerwelle von einer „Brandmauer“. Der FDP-Generalsekretär erklärte der Welt am Sonntag, die Liberalen hätten „mit der Ablehnung der Mineralölsteuererhöhung eine Brandmauer gezogen gegen die Absicht, Haushaltsdefizite mit immer neuen Steuererhöhungen auszugleichen“. Graf Lambsdorff forderte im Berliner Tagesspiegel Waigel auf, „Haushaltsentwürfe vorzulegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt, das kann nicht stimmen“. Er widersprach auch den Vorstellungen des Finanzministers, bei weiteren Einschnitten blieben das Verteidigungs-, Verkehrs- und Forschungsministerium verschont. Diese Annahmen lägen zeitlich vor den letzten Koalitionsgesprächen. „Ausdrücklich“ sei festgehalten worden, daß „niemand von vornherein verschont bleiben kann“. Ein Sprecher des Finanzministeriums erklärte, es sei noch nicht festgelegt worden, ob allen Ministerien eine pauschale Minderausgabe verordnet werde. Auch nach Verschiebung der Absenkung des Soli-Zuschlags klafft 1997 noch ein Haushaltsloch von 3 bis 4 Milliarden Mark.
Der SPD-Politiker Gerhard Schröder sagte der Bild-Zeitung, die Bundesregierung stehe, was die Finanzen betreffe, unbestreitbar am Abgrund. Die widersprüchlichen Meinungen in Union und FDP zeigten, daß die Koalition bröckele. SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier glaubt, daß das Finanzloch noch höher ausfällt, weil Waigel die Arbeitslosenzahlen für 1997 nicht einrechnete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen