Hebbels "Nibelungen" in Bremen: Heilung fürs Genie aus Wesselburen

Kein Gedanke, nur Bilder - so lässt sich das Programm von Herbert Fritschs Bremer Nibelungen-Inszenierung auf den Punkt bringen. Damit befreit er ihren Autor Friedrich Hebbel von ideologischem Ballast.

Super-Siegfried (Timo Lampka) hält die Burgunder mit Superkraft in Schach. Denken ist ohnehin nicht seine Stärke. Bild: Jörg Landsberg

BREMEN taz | Kein Gedanke, nur Bilder - so lässt sich das Programm von Herbert Fritschs Bremer Nibelungen-Inszenierung auf den Punkt bringen. Damit befreit er ihren Autor Friedrich Hebbel von ideologischem Ballast

Oh, was ist das eine Steilvorlage für beißwütige Rezensenten! Doch deren Zorn haben Regisseur Herbert Fritsch und seine Dramaturgin Sabrina Zwach bei ihrer Bremer Inszenierung von Friedrich Hebbels "Die Nibelungen" wohl fest einkalkuliert.

Denn Sinnerwartungen enttäuschen sie rigider, als das der verspielte Frank Castorf je gekonnt hat. Sie machens zudem im konsequenten Rückgriff auf Comic-Ästhetik, die Bürgerkinder bis weit in die 1980er Jahre hinein nur als abschreckendes Beispiel kulturzersetzenden Schunds vermittelt bekamen.

Jau: Superheld Siegfried kommt an den burgundischen Hof, verliebt sich in Zimtzicke Kriemhild, erobert für den Schwächling Gunter dank Superkräften Monsterweib Brunhild, um dann vom Superschurken Hagen erledigt zu werden. Witwe Kriemhild will Rache - die ihr der Wilden-König Etzel verschafft: Im Kochtopf des Stammesfürsten schmoren die Burgunder, alles endet im archaischen Rundtanz.

Bis dahin wird sinnlos - ausdrücklich und wunderbar sinnlos! - geschrien. Es wird penetrant - großartig penetrant! - grimassiert. Und ein kommentierender Kunstfurz als - herrlich geschmackloser - Running Gag ist eine sehr wirksame Versicherung, nicht in die Pathos-Fallen der Vorlage zu tappen.

Womit Fritsch und Zwach das Stück - drei Tragödien plus Vorspiel - 150 Jahre nach der Uraufführung und auf zweieinhalb Stunden eingedampft von seinem problematischsten Infekt heilen. Denn immer und überall ist Hebbel von den kursierenden Ideologien des 19. Jahrhunderts angesteckt, den Surrogaten einer ruinierten Metaphysik, mit denen der Dichter die stupide Schulaufsatz-Frage besänftigen konnte: Was er uns denn damit sagen wolle.

Doch hat er damit leider auch die ganze peinliche großgermanische Wirkungsgeschichte seiner Nibelungen in Gang gebracht. Fritsch kappt sie. Sein ästhetisches Programm heißt: kein Gedanke - nur Bilder.

"Kein Gedanke - nur Bilder", ist keine bösartige Verrissfloskel. Das ist eine Formel von Hebbel selbst. Mit ihr hat er den knappsten und luzidesten Ausdruck seiner eigenen Dramen-Poetik gefunden. Die steht auf schroffe Weise quer zur Substanzversessenheit seines Jahrhunderts, die auch die heutigen kulturellen Rezeptionsmuster noch prägt.

Problem, ja Tragik: Diese zu bedienen ist doch zugleich unabdingbare Voraussetzung des Reüssierens in der Gesellschaft, was dem Genie von Dithmarschen ein dringendes Anliegen war. Er wollte ja respektiert sein und anerkannt vom Bürgertum, das er durchaus verachtete, dem er nicht angehörte und dessen Gegenbewegungen ihm zugleich fremd blieben.

Geboren ist Hebbel 1813 in Wesselburen. Sein Vater tagelöhnert als Maurer, stirbt bald. "Meine Mutter ist eine so arme Frau / daß ihr lachen würdet, wenn ihr sie sähet", legt ihm Gottfried Benn per Porträtgedicht später in den Mund. Tatsächlich schämt er sich seiner Herkunft bis zum Schluss.

"Nichtswürdig" nennt er sie, sein "Gefängnis" die Heimat, nur um im gleichen Schreibzug zu behaupten: Er bilde sich auf seinen friesischen "Volksstamm etwas ein", oder um per Ballade die Schlacht bei Hemmingstedt zu glorifizieren, bei der 1500 das Dithmarscher Bauernheer die Truppen der dänischen Krone schlug.

Seit seiner Flucht, die ihn mit 22 Jahren aus der holsteinischen Enge über Hamburg, Heidelberg, Kopenhagen und Rom nach Wien führt, habe er "nicht eine wirklich neue Idee gewonnen", behauptet er gegen Ende seines Lebens.

Gierig und unsystematisch eignet er sich die Systementwürfe seiner Zeitgenossen an. Er liest alles: Hegel, Feuerbach, Schelling, Schopenhauer, meint, darüber "wahnsinnig" zu werden, trampelt auf den Traktaten herum und schmeißt sie an die Wand. Und schreibt doch immer so, dass die Dramen anschlussfähig, deutbar, konsumier- und vereinnahmbar werden.

Während er an anderen Dramatisierern des Nibelungen-Stoffs rügt, dass sie "mit ihrem Ich nicht zurücktreten und nicht umsonst im 19. Jahrhundert geboren sein" wollen, weiß er, dass er ihm nicht entfliehen kann: Er muss sich den Zeitgenossen andienen. Denn bei der künstlerischen Produktion gehts auch stets um, so der Dichter, "Geld! Geld! Geld!".

Darauf genau verzichten Fritsch und Zwach, besser: verzichtet mit ihnen das Bremer Theater. Es lässt sie - das Risiko muss einkalkuliert sein - das Große Haus leer spielen mit einer herausragenden Produktion. Hebbel selbst hat schon betont, er wolle mit den Nibelungen nicht "irgendein modernes Lebensproblem illustrieren". Seine Gelddruckmaschine bleibt ja das Pathos, und bei "Die Nibelungen" speist es sich selbstverständlich aus Blut-und-Boden-Mythen und Treue-Vorstellungen.

So wars zur Uraufführung im Januar 1861 in Weimar, so wars selbstverständlich in der Nazi-Zeit. So ist es aber noch in den jüngsten Aufführungen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Zuletzt hat Michael Thalheimer das Werk zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung am Deutschen Theater als Blutorgie gegeben.

Jahre zuvor hatte es Castorf an der Volksbühne zum zwei Abende währenden, heterogenen, oft spaßigen aber doch auch sehr ernst gemeinten Antideutschland-Manifest dekonstruiert - mit Fritsch übrigens als Schauspieler.

Jene auch quälende Inszenierung war wegweisend, dort, wo sie das Pathos der Vorlage kassierte. Und diesem Fingerzeig ist Fritsch in Bremen auf unerbittliche Weise gefolgt: Indem er sie konsequent als Bühnen-Comic gibt, legt er in der Tragödie ein Spiel der Sinnlosigkeit frei -keins der Gedanken sondern eins der Bilder.

Die Kostüme von Victoria Behr, und wie das Licht auf ihnen spielt, sind deshalb die wichtigsten Persönlichkeits-Chiffren: Siegfried glänzt golden, Maike Jüttendonk und Simon Jensen sind als Brüderpaar Gisleher und Gerenot in ein grieselgraues Strick-Kettenhemd gewandet, das an den Armen zusammengewachsenen ist, und Hagens Umhang schillert Krähenschwarz.

Der Einfachheit halber hätte man noch auf Masken zurückgreifen können, weil doch Mimik immer Tiefsinn und Abgründe behauptet. Doch so leicht macht sichs Fritsch nicht. Er verpflichtet stattdessen das Ensemble auf je zwei, drei überdeutliche Grimassen: Jan Byl muss als König Gunther die Hand zwischen die Zähne klemmen und mit den Knien schlottern, Timo Lampka als Siegfried Bodybuilder-Posen ausführen, Susanne Schrader als Mutter Ute mal heulen, mal keifen, und allenfalls Varia Linnéa Sjöström darf als Kriemhild aus dieser Typologie ausbrechen, den monströsen Riesenzopf ablegen, an ein menschliches Wesen erinnern.

Das ist hoch artifiziell, ungeheuer diszipliniert gespielt und deshalb: kurzweilig, schreiend komisch und auf eigentümliche Weise aufregend. Weil Tragödie hier als eine künstliche und unfassbare Gegenwelt aufscheint, verstörend, weil unverstehbar, nicht belehrend, nicht einmal bildend, sondern einfach da. Genau dafür, so heißt es, wurde sie einst erfunden.

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