Hebammen-Azubine in Berlin: Optimistisch und naiv
Von wegen der Beruf stirbt aus: Die Hebammen-Ausbildung ist begehrt. Von einer, die gerade anfängt, und einer, die nicht aufhören will.
BERLIN taz | Werdende Mütter sind kompliziert. Aufgeregt, unsicher und auf Hilfe angewiesen. Juliane Ritzel kennt das. Jahrelang hat sie mit Musikern und freien Künstlern gearbeitet, jetzt wird die Dreißigjährige Hebamme. Obwohl in der Presse seit Monaten nur vom „Hebammensterben“, von einem möglichen Aus für Tausende freiberufliche Hebammen, von „weinenden Kolleginnen“ und unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu lesen ist. Egal.
„Ich bin optimistisch und naiv“, sagt Ritzel, helles Lachen, große Augen. Sie ist eine von zwanzig neuen Hebammen-Azubinen am Vivantes Klinikum Neukölln. Am 1. April beginnt ihre Ausbildung. Drei Jahre, 3.000 Stunden Praxis, 1.600 Stunden Theorie. Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaften. Das alles für einen Beruf, von dem viele sagen, in einem Jahr gebe es ihn so vielleicht gar nicht mehr. Denn die Versicherer wollen die risikoreiche Tätigkeit der Hebammen nicht mehr tragen. Mit dem Gesundheitsministerium werden Lösungen verhandelt, das Ergebnis ist völlig offen. Ritzel hat davon „wenig mitgekriegt“. Eine Welt ohne Hebammen kann sie sich nicht vorstellen. Und wo sie herkommt, aus der freien Kunstszene, da gab es schon immer viel Idealismus für wenig Geld. Genau wie dort, wo die junge Frau jetzt hingeht.
Die Vivantes Kliniken in Berlin sind mit 60 Plätzen pro Jahr einer der größten Hebammen-Ausbilder in Deutschland. Die Ausbildung ist begehrt, die Bewerberinnenzahlen sind hoch. Juliane Ritzel musste sich gegen 300 Mitbewerberinnen durchsetzen. Vor drei Jahren waren es noch 1.200 Kandidatinnen.
Mittlerweile kann man Midwifery als Bachelor an vielen Hochschulen studieren. Die Anwärterinnen verteilen sich so auf verschiedene Orte. Aber die Ansprüche sind überall gleich: Wissenstest, Diktat, Rechenaufgaben, Führungszeugnis, Bewerbungsgespräch. Bis zum Staatsexamen dauert es drei Jahre. Der internationale Hebammen-Kodex fordert viel von den künftigen Hebammen. Sie sollen „Vorbild für Frauen während ihres ganzen Lebenszyklus´“ sein.
Hebammen haben am Samstag zusammen mit Müttern, Vätern und Kindern in mehreren deutschen Städten für die Zukunft freiberuflicher Geburtshelferinnen demonstriert. Wegen explodierender Versicherungsprämien fehlten bereits jetzt Geburtshelferinnen, sagte die Initiatorin einer Online-Petition zur Rettung der freiberuflichen Hebammen, Bianca Kasting, bei einer Mahnwache in Frankfurt. Daran beteiligten sich nach Polizeiangaben rund 600 Menschen. Demonstrationen gab es unter anderem auch in Hannover, Hamburg und Köln.
Hebammen fürchten um ihre berufliche Existenz, weil sich ihre Haftpflichttarife in den vergangenen Jahren mehrfach erhöht haben. Die Gesundheitsexperten der großen Koalition wollen in zwei Wochen ein Konzept für eine Versicherungsregelung vorlegen. In Deutschland arbeiten rund 21.000 Hebammen, etwa 60 Prozent davon freiberuflich.
In der Online-Petition heißt es, Hebammen seien per Gesetz dazu verpflichtet eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. „2003 zahlten sie noch 453 Euro Haftpflichtprämie im Jahr. In den letzten zehn Jahren sind die Kosten um das Zehnfache gestiegen. Bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von 8 Euro lohnt es sich nicht mehr, Geburtshilfe anzubieten.“ (dpa)
Den ganzen Tag nur Babys
„Vielleicht gibt es da ein idealisiertes Bild von dem Beruf. Man denkt: Oh, wie schön, ich sehe den ganzen Tag nur Babys“, sagt Katharina Bronizki, Hebamme in Berlin Mitte. Dabei habe die Arbeit vor allem mit Frauen- und Familienbetreuung zu tun. Bronizki findet es erstaunlich, wie viele junge Frauen immer noch Hebamme werden wollen. Und kann es doch verstehen.
Frauen, die für Frauen da sind. Hebamme, den Beruf gibt es bereits seit Jahrtausenden. Die ersten Belege stammen aus dem alten Ägypten. „Am Handwerk hat sich bis heute nichts geändert“, sagt Bronizki. Die Frau mit dem festen Händedruck und dem klaren Blick zwischen vielen Augenringen ist schon gefühlte Ewigkeiten im Geschäft. Keine Jahrtausende, aber Jahrzehnte. Das reicht, um zu beobachten, was sich alles ändert. Denn Bronizki war bereits Geburtshelferin, da war der Versicherungsbetrag noch dreistellig. Vielleicht 400 Euro im Jahr, nicht 5.000. Den Babys auf die Welt zu helfen, war zwar auch damals kein Job zum Reichwerden, aber heute? Zu teuer, zu unrentabel.
„Von Geburten kann man gar nicht mehr leben“, sagt Bronizki zwischen Blumensträußen, Vanille-Birne-Tee und Flyern zu Babymassage und Still-Sprechstunde. Das klingt philosophisch, aber es bringt das Dilemma ihrer Kolleginnen auf den Punkt. Freiberufliche Hebammen leben heute „vom Davor und Danach“ der Geburt, wie Bronizki es nennt. In ihrem Fall ist es das Daneben. Denn neben Bronizkis Büro, im hauseigenen Yogaraum, lassen gerade ein Dutzend vorfreudig strahlender Frauen angeleitet von Yogalehrerin Katrein Frenzel „ihre Schultern in den Rücken fallen“.
Auch Juliane Ritzel will „Stütze“ sein für andere Frauen. „Ich war schon immer Sozialstelle für alle“, sagt sie. Ritzel sitzt im Schneidersitz auf dem Treppenabsatz vor dem Speicher und hat die schmalen Hände in den Schoß gelegt. Hände, die bald wissen, wann sie zupacken müssen. Hände, die werdenden Müttern Mut geben sollen. Dass sie selbst noch kein Kind hat, ist für Ritzel kein Problem. „Ich mache ihnen nicht vor, wie es geht. Ich gebe ihnen die Kraft, dass sie es von sich aus schaffen können.“
Viel Idealismus, wenig Geld
Diese Leidenschaft zu ihrem Beruf verbindet die erfahrene Hebamme Bronizki mit der Auszubildenden Juliane Ritzel. „Es ist was Schönes jemandem zu helfen, ihren Körper zu verstehen und Ruhe mit sich selbst zu bekommen“, sagt Ritzel und klingt so wie Bronizki. Das ist der Grund, weshalb die eine anfängt und die andere nicht aufhört. Viel Idealismus, wenig Geld und immer ein Weg nach vorn.
Kalte Luft kriecht durch die unverputzten Wände ins Speicher-Büro. Ritzel hat sich eine dicke Zipfelmütze über den Kopf gezogen, unter der ihre blonden Haare hervorlugen. Was sind schon die Unsicherheiten ihres neuen Lebens? Ritzel zuckt mit den Schultern. Davor war es nicht anders: Studium der Kulturwissenschaften, Arbeit im Kunstreferat des Deutschen Bundestages, Künstlerbetreuung im Musikmanagement und freie Kunstarbeit mit ihrem Verein Artitude im alten Senatsreservespeicher in Kreuzberg. Alles in allem zehn Jahre in stets unsicheren Verhältnissen.
Bevor sie ihre Ausbildung anfängt, hat Ritzel noch viel zu tun. Der Speicher muss in wenigen Tagen geräumt sein. Die Ateliers weichen Luxuswohnungen und Gewerberäumen. Etwas müde lädt Ritzel ein Bild des alten Kopierers auf Ebay hoch. Vielleicht kauft den noch jemand. Auf dem großen Schreibtisch das Chaos der letzten Tage: Formulare, Computer, leere Kaffeebecher. Dazwischen liegt ein dicker roter Plastik-Knopf. Wenn man ihn drückt, sagt er: „That was easy.“
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