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Hebamme und Bestatterin„Sie gehen einen Weg“

Die Oldenburgerin Ellen Matzdorf arbeitet als Hebamme und Bestatterin zugleich. Ein Gespräch über Begleitung, Leben und Tod, Wehen und Kindersärge.

Ellen Matzdorf: Hebamme und Bestatterin Foto: Marcus Windus
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz am Wochenende: Gibt es Schwangere, die abgeschreckt sind davon, dass Sie auch als Bestatterin arbeiten, Frau Matzdorf?

Ellen Matzdorf: Wenn sie auf dem Anrufbeantworter hören „Stern Bestattungen, Ellen Matzdorf“, legen sie erst ­einmal auf. Wenn ich zurückrufe, kläre ich das auf, indem ich sage: „Sie sind richtig, wenn Sie Hebammen­begleitung möchten, das geht beides über das gleiche Telefon.“ Dann gibt es ein kurzes „Aha“, ich sage: „Kann ich helfen, was brauchen Sie?“, und dann legen sie los und wir sind im Gespräch. Aber es ist nicht so, dass alle das gut ­finden, ich habe auch schon eine böse anonyme Karte bekommen. So wie es auch nicht alle gut fanden, dass bei uns ein Kindersarg im Fenster stand.

Warum nicht?

Es gab Leute, die sagten, dass das den Schulkindern nicht zumutbar sei, deren Schulweg bei uns entlangführt. Ich glaube aber, dass sie da ihre eigenen Ängste auf die Kinder projizieren. Es schrieb mir aber auch eine Frau, deren Kind gestorben war, dass es schwer für sie sei, daran vorbeizugehen.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe ihr geschrieben, dass ich mich freuen würde, wenn sie zu einem ­Gespräch käme, und dass ich den Sarg erst einmal beiseitestelle. Sie hat freundlich zurückgeschrieben, dass sie Bedenkzeit brauche, aber sie ist nicht gekommen.

Steht der Kindersarg inzwischen wieder im Fenster?

Nein, wir wollen uns das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin ist. Die Leute nehmen schon Anstoß daran, dass ein Erwachsenensarg im Fenster steht. Eine Urne, das geht, ein Sarg nicht – der ist zu deutlich.

Was ist Ihnen gefühlsmäßig näher: die Bestattungen oder die Geburten?

Wahrscheinlich, weil ich gerade keine Geburtshilfe leiste, sind mir die Be­stattungsarbeit und die Menschen, die ich da kennenlerne, näher. Ich mache im Moment Geburtsvorbereitung und Wochenbettbetreuung, aber keine Geburtshilfe, weil ich neben meiner Arbeit meinen Bruder betreue, der fortgeschritten an ALS erkrankt ist. Wir haben ein Pflegeteam, das sich rund um die Uhr um ihn kümmert und das ich manage. Da kann immer mal was sein, sodass ich kurzfristig einspringen muss. Deswegen kann ich im Moment keine Geburtshilfe leisten, weil ich, wenn eine Erstgebärende ein Baby bekommt, manchmal 20, 30 Stunden weg bin.

Das klingt fordernd.

Ich bin einmal gefragt worden, was ich als Ausgleich mache, und da musste ich wirklich überlegen, ob ich den brauche. Natürlich höre ich gerne Musik, gehe viel spazieren, mache Sport, aber das würde ich ja immer machen. In meiner häuslichen Situation ist tatsächlich meine Arbeit der Ausgleich. Ich gehe hier weg und bin stückweise nicht erreichbar, dann bin ich in der Kirche oder in einem Raum, den wir vorbereiten und dekorieren. Dann bin ich in meinem Flow.

Ist es mit der Geburt heute eigentlich so wie mit der Hochzeit: befrachtet mit unglaublich großen Erwartungen, was für ein großartiges Erlebnis das werden soll?

Wer mich als Hebamme wählt, der muss auch zu mir passen, wir müssen zueinander passen. Da geht es immer wieder darum: Was brauchst du, wie gehst du mit deiner Schwangerschaft um, welche Vorstellungen hast du von der Geburt? Sie gehen einen Weg, den ich nur begleite, mit allem, was mich ausmacht, aber ich nehme den Frauen nichts ab. Einmal hatten wir die Situation, da sagte die Frau gleich im ersten Gespräch: „Ich möchte einen Kaiserschnitt.“ Ich sagte: „Man sieht Ihren Bauch noch nicht, Sie sind noch am Beginn der Schwangerschaft, vielleicht kümmern wir uns erst einmal d­arum. Wenn Sie am Ende der Schwangerschaft immer noch einen Kaiserschnitt wollen, dann kriegen Sie den, aber vielleicht kommt es auch ganz anders.“ Die Frau hat dann bei mir im Geburtshaus ihr Kind gekriegt und ganz wunderbar geboren.

Ich las einmal ein Interview mit einem Gynäkologen, der sagte: Wer gut gebären könne, könne auch gut sterben, weil es darum ginge, Kontrolle abzugeben. Ich dachte, interessant, über die Parallelen nachzudenken, und zugleich: Du Depp, du kennst beides nicht, was maßt du dir ein Urteil an.

Im Interview: Ellen Matzdorf

58, arbeitet als Bestatterin und Hebamme in Oldenburg. Dort hat sie 1999 ein Geburtshaus initiiert, 2018 hat sie ihr Bestattungsunternehmen gegründet, in dem inzwischen auch ihre Tochter und ihr Schwiegersohn mitarbeiten.

Sie ist ausgebildete Sterbebegleiterin. Müsste sie sich zwischen ihren Berufen entscheiden, würde sie die Bestatterin wählen, weil es ihrem Lebensabschnitt mehr entspricht – „aber zum Glück muss ich es ja nicht“.

Ich würde in erster Linie sagen, da ist etwas dran, das hat er gut gelernt. Die Frauen, die es tatsächlich schaffen, ihrem Verstand nicht die Oberhand zu lassen, die können gut gebären. Deswegen können oft sehr junge Frauen gut gebären, die sich, ich sage es mal arrogant, um nichts einen Kopf machen. Auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können gut gebären, sie lassen den Körper arbeiten, und das ist das, was in der Geburtssituation gut ist. Das ist beim Sterben ähnlich.

Was haben Sie für Erfahrungen mit Sterbenden gemacht?

Mit ist wichtig, nicht erst in die Begleitung zu gehen, wenn der Tod eingetreten ist, sondern auch schon vorher. Ich habe mittlerweile mehrere Personen, mit denen schon besprochen ist, dass ich sie begleite, wenn es in die Sterbephase geht, und anschließend auch die Bestattung organisiere. Wir haben die Planung für den letzten Lebens­abschnitt miteinander gemacht, wir sehen uns auch regelmäßig.

Was sind das für Menschen?

Solche, die niemanden haben, der das, was sie sich wünschen, auch umsetzt. Die keinen staatlichen Betreuer wollen und nach solchen Arrangements gucken. Es ist nicht so, dass sie kurz vorm Sterben sind, es ist eine Vorsorge, die sie treffen. Einmal hat sich eine Familie wegen einer Bestattung an mich gewandt, deren einjähriger Sohn bald sterben würde. Der Vater schrieb mir eine Mail und beschrieb sehr intensiv, was das mit ihnen als Eltern macht. Es war sehr schwierig für sie, dass sie sich um diesen Schritt kümmerten, während ihr Kind noch lebte. Aber zugleich wollten sie nicht hinterher in diese Situation geworfen werden.

Wie ist es dann weitergegangen?

Wir haben uns getroffen und ich habe gefragt: Wie offen wollen wir über die Situation sprechen? Ich musste da auch über meinen eigenen Schatten springen, der lang genug ist. „Ganz offen“, haben sie gesagt. Eine wichtige Frage für sie war, wie sich der Körper des Kindes nach dem Tod verändern würde, weil sie ihn gern eine Weile bei sich behalten wollten. Es ist unterschiedlich, wie tief die Leute einsteigen wollen – das ist in der Geburtshilfe auch so. Und wenn ich ein Sterben begleite, gibt es eine ähnliche Art der Fokussierung wie bei der Geburt: Es ist ein Da-Sein, ein Aushalten, aber man wartet nicht auf Wehen, sondern auf Atemzüge, und bei beidem wissen wir nicht, wann es die letzte Wehe und der letzte Atemzug ist.

Wie erreichbar sind Gebärende und Sterbende – ist das ähnlich, pauschal gefragt?

Ich glaube, dass beides ganz stark von meiner Empathie abhängt. Ich habe erst mein Kind geboren und dann die Ausbildung als Hebamme gemacht. Für mich war das ein großer Vorteil. Andererseits hatte ich eine relativ einfache Geburt, und wenn ich dann sage, „Ich hatte so eine leichte Geburt, wieso stellt sie sich so an?“, kann das ein Problem werden. Wenn man selber gut geboren hat und dann Frauen begleitet, die nach 20, 30, 40 Stunden immer noch keine vollständige Muttermundseröffnung haben, und wir alle wissen, es ist nur der Kopf, der da immer noch eine Barriere baut.

Wie ist das bei Sterbenden?

Ich glaube, wenn ich mich in eine Situation voll einbringe und aufnehme, was von meinem Gegenüber kommt, egal, ob es eine Gebär- oder Sterbesituation ist, und ich das nicht beurteile, sondern annehme, wie es ist, dann kann ich es gut begleiten. Deswegen glaube ich, dass viele Hebammen, die noch nie geboren haben und auch niemals gebären werden, weil sie keine Kinder kriegen wollen, trotzdem gute Hebammenarbeit und gute Geburtsbegleitung leisten können. Ich kann ja nicht sagen: Du willst dich hinsetzen, obwohl Laufen in der Situation besser wäre. Es ist für die Frau in dieser Situation vielleicht immens wichtig, sich zu setzen, auch wenn der Geburtsvorgang dann mal für einen Moment stoppt.

Schwangerschaft wird heute sehr sichtbar gemacht, mit enger Kleidung, Ultraschallfotos, während der Tod immer unsichtbarer wird. Während der alte Mensch, der stirbt, Vorkehrungen trifft, damit seine Beerdigung möglichst niemandem zur Last fällt. Als seien es gegenläufige Kurven.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Geburt wird tatsächlich immer mehr zum Event. Früher war eine Schwangerschaft für alle etwas ganz Normales. Heute wird es als etwas ganz Besonderes empfunden – das tue ich auch, aber das Besondere gilt dem neuen Leben. Wir machen ein Brimborium um etwas ganz Normales. Auf der anderen Seite grenzen wir das Sterben, das auch etwas ganz Normales ist, das mit der Zeugung schon gegenwärtig ist, komplett aus. Da geht es darum, ohne Aufsehen und ohne viel Trara unter die Erde zu kommen. Ich würde mir da ein bisschen mehr Gleichmäßigkeit wünschen: dass die Menschen erkennen, dass Schwangerschaft und Geburt etwas Schönes, aber nichts Besonderes sind.

Was war Ihr erster beruflicher Kontakt mit dem Sterben?

Da war ich in den ersten Wochen meiner Ausbildung, kam auf die Station zu meinem Dienst und mir wurde gesagt, du bist für Zimmer xy zuständig. Dann kam ich da rein, und es war klar: Diese Frau wird ein totes Kind gebären. Ich hatte von Hebammenarbeit noch gar keine Ahnung, aber ich konnte diese Frau trotzdem gut begleiten. Das passierte während der Ausbildung immer mal wieder und ich habe gemerkt, dass ich mit dem Tod anderer um­gehen kann.

Wie kam es von dort dazu, dass Sie selbst Bestatterin wurden?

Es ist immer mal wieder so gewesen, dass, wenn die Kinder verstorben waren, der Bestatter dazukam und ich merkte: Jetzt müssen die Eltern ganz schön ackern, um ihre Wünsche berücksichtigt zu bekommen. Das Baby aus dem Krankenhaus noch einmal nach Hause zu kriegen, um dort Abschied nehmen zu können; eine Mutter sagte: „Ich will den Sarg selber machen“ – das ging dann alles nicht. „Wir möchten, dass der kleine Junge bei der Oma beigesetzt wird, und wir möchten den Sarg selber zu Grabe tragen und das Loch zumachen“ – das ging auch wieder nicht. Ich habe gedacht: Das muss doch leichter gehen. Und irgendwann war der Gedanke da: Warum machst du das nicht selbst?

Hatten Sie, als Sie Bestatterin wurden, Scheu, die toten Körper zu berühren?

Als ich mich entschieden habe, als Bestatterin zu arbeiten, wusste ich nicht, ob es diese Furcht geben wird. Es gab nie die Furcht vor den toten Kindern. Als der erste Anruf kam, ging mir ganz schön die Düse, als ich tatsächlich einen erwachsenen Mann aus dem Krankenhaus abholen und dann versorgen musste. Ich hatte noch gar nicht das Handling und das Equipment, es war Learning by Doing. Das ist heute immer noch ein bisschen so.

Inwiefern?

Wenn mich eine Frau anruft und sagt: „Ich habe Wehen“, weiß ich ja auch nicht genau, was mich erwartet. Dann komme ich und muss reagieren. Meine erste Priorität ist: Was ist mit der Frau und dem Baby, okay, das Umfeld: Was ist mit dem Mann, steht er noch auf zwei Beinen, sind noch Kinder da, wer braucht was? Das wird angeguckt und sortiert, dann wird das Umfeld hergerichtet und dann kann die Geburt laufen. Das ist bei einer Sterbesituation auch so: Welche Räumlichkeiten sind da, welche Leute, auf wen müssen wir eingehen, welche Vorsorge ist da, gibt es Gedanken, wie alles laufen soll, brauchen sie Zeit, gehen wir erst einmal wieder?

Den Umgang mit den Toten haben die meisten von uns verlernt.

Ich erlebe es ganz oft: Wir kommen in eine Familie, wir sollen die Mutter abholen, der Ehemann ist da, die Tochter, schon erwachsen, alle sind ganz traurig, weil die Mutter gestorben ist. Wir kommen da hin, wir sehen sie, wie sie in ihrem Bett liegt, vielleicht hat sie ein Nachthemd an, und dann fragen wir, ob sie vielleicht etwas anderes anziehen soll. – „Ja, das wäre ganz schön.“ Und dann frage ich: „Möchten Sie das mit uns zusammen machen?“ – „Ich weiß gar nicht, darf ich das denn?“ – „Natürlich dürfen Sie das.“ – „Ich weiß gar nicht, ob ich das kann.“ – „Wir fangen mal an und dann sehen wir, ob Sie das können.“ Dann entkleiden wir die Frau, wir waschen sie, vielleicht tragen wir eine Körperlotion auf, was auch immer für die Frau wichtig war, weil sie es zeitlebens gemacht hat, oder was für die Tochter als Ritual noch schön sein kann, um ihre Mama zu versorgen. Und dann merke ich im Handeln, dass die Menschen merken: Wie schön, dass ich das noch tun darf.

Aber die meisten tun es nicht?

Wenn ich das nicht anspreche, dann denken die Leute, sie dürfen das nicht. Ich werde gefragt: „Darf ich meinen Mann noch anfassen?“ Das fragen sie mich! Und da wird mir klar, wo das hingeführt hat, was wir die letzten 40 Jahre erlebt haben, wenn es um Bestattung geht. Der Verstorbene gehört auf einmal dem Bestatter. Bis zum Moment, wo er gestorben ist, haben sie seine Hand gehalten. Menschen sind 50 Jahre verheiratet, dann muss er loslassen. Und dann kommen sie noch einmal ins Bestattungshaus und fragen mich, ob sie ihn anfassen dürfen. Mir fehlen da manchmal die Worte. Wir versuchen schon im Vorfeld klar zu machen: Ihr dürft alles, wir begleiten nur. Die Urne tragen, den Sarg tragen – dürft ihr alles tun. Erst mal ist das alles euer Job. Ihr seid eigentlich verpflichtet, das zu machen, und was ihr nicht könnt, das machen wir für euch. Aber das müssen viele erst lernen.

Wie ist es damals mit der Familie weitergegangen, deren Sohn Sie beerdigen sollten?

Sie haben den Sarg selbst für ihn bemalt. Und als der Sohn starb, haben sie ihn gewaschen und in den Sarg gelegt. Die Mutter war damals wieder schwanger, und es war ein großer Konflikt für sie, dieses Wechselbad der Gefühle. Sie hat mich gefragt, ob ich ihre Hebamme sein würde, und ich habe das mit großer Freude getan.

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