piwik no script img

Headspins auf einem leidigen Thema

■ Das Zusammenleben in St. Pauli: Eine Film von Marily Stroux und Claudia Leitsch

Wie leben die BewohnerInnen St. Paulis miteinander? Darüber ist – mal mit Scharf-, mal mit Weichzeichner – schon viel geredet, geschrieben und gefilmt worden, meist aber von JournalistInnen und anderen sogenannten ExpertInnen. Zu Wort kamen diejenigen, die dort leben, nur vereinzelt und lediglich dann, wenn einem vorgefassten Statement mit „authentischen“ Tönen die nötige unzweifelhafte Wahrheitssahnehaube aufgesetzt werden sollte.

Die Fotojournalistin Marily Stroux und Claudia Leitsch, Mitarbeiterin des Stadtteilzentrums Kölibri/GWA, haben jetzt einen Film vorgelegt mit unzähligen Interviews, in denen die St. PaulianerInnen über sich sprechen – die Dokumentation Interessiert mich doch nicht, ob jemand schwarz, weiß, gelb oder kariert ist. Aber ...

Die notorische Leier des „Früher war alles besser“ der vor dem Nachkrieg geborenen Bevölkerung ist dort in zahllosen Varianten vertreten, von sozialer Kälte und Vereinzelung die Rede und von der Angst vor Gewalt. Vielstimmig, wie der Film ist, wird dem aber auch die Stirn geboten: Nur hier könne sie ungefährdet auch abends alleine ausgehen, beschreibt beispielsweise eine junge Deutschländerin einen der Vorzüge St. Paulis. Doch ganz schnell – es wurde danach gefragt – gerät das Verhältnis von „Deutschen“ und „Ausländern“ ins Zentrum des Blicks.

Ein Thema ist es schon: Wie leben Leute mit und Leute ohne deutschen Pass auf St. Pauli zusammen. Aber es ist auch eins, das nicht in erster Linie von dort Ansässigen gemacht wird. Mehr schon ist es ein Thema von StadtplanerInnen, die den „Ausländeranteil“ auf St. Pauli für zu hoch halten. Und es ist ein Thema derjenigen Presse, die regelmäßig Gräuelgeschichten aus dem „gefährlichen“ Stadtteil zu brauchen glaubt – der Auflage wegen?

Einige der Befragten interessiert es nicht, sie sprechen von anderem. Doch auch ihre Sätze vom „Besser oder Schlechter“ der letzten Jahre geraten gezwungenermaßen zu Antworten auf die – so muss man wohl sagen – Leitfrage des Films: „Bis 1975 etwa war es ganz anders hier. Da konnte man alles noch anständig mit der Faust regeln“, vermeldet ein pensionierter Kellner. Doch heute „wird gleich das Messer gezückt oder die Knarre“. Dort, wo das Thema explizit und auch ohne die suggestive Frage eines ist, wie für die Rassisten des Viertels, wird es durch die öffentliche Verbreitung, die ein Film bietet, immer wieder als ein diskussionswürdiges beschworen. Dagegen das „Kulti-multi“ (O-Ton im Film) zu stemmen, ist aussichtslos.

Christiane Müller-Lobeck

heute, 20 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12; das Video kann ausgeliehen werden: Tel. 319 36 23

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen